Themen: Umwelt

„Verkehr bleibt Klimasorgenkind Nummer eins“

Allianz pro Schiene, ACE und Klimafakten beklagen Stillstand beim CO2

Klimasorgenkind Verkehr - Dirk Flege (Allianz pro Schiene), Carel Mohn (Klimafakten), Matthias Knobloch (ACE).
Warum bewegt sich der Verkehr so langsam? Die Veranstalter der Tagung fragen sich das schon länger: (von links) Dirk Flege (Allianz pro Schiene), Carel Mohn (Klimafakten), Matthias Knobloch (ACE).

Berlin, 30. September 2015. Das Thema „Klimaschutz“ hat weltweit Konjunktur: US-Präsident Barack Obama und der Papst schreiben es auf ihre Fahnen, die Autoindustrie stürzt es gerade in eine schwere Krise und die Klimakonferenz in Paris rückt näher. Warum ausgerechnet beim Verkehr, der nach dem jüngsten Bericht der internationalen Klimabehörde IPCC weltweit für ein Viertel der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich ist, seit Jahrzehnten keinerlei Besserung zu erkennen ist, hat eine Tagung von Allianz pro Schiene, dem Autoclub Europa (ACE) und dem Bündnis Klimafakten beschäftigt. „Weltweit könnte sich der verkehrsbedingte CO2-Ausstoß bis 2050 sogar noch einmal verdoppeln, aber auch die deutschen CO2-Werte sehen nicht gut aus“, sagte der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene auf der Tagung „Wie bewegungsfähig ist der Verkehrssektor“ am Mittwoch in Berlin. „Alle Sektoren – die Industrie, die privaten Haushalte, die Energieerzeuger – konnten seit 1990 ihre Klima-schädlichen Emissionen senken. Nur der deutsche Verkehrssektor hat seitdem keinen Schritt voran getan: Seine Rolle als Klimasorgenkind ist seit 25 Jahren in Asphalt gegossen.“

Treibhausgas-Emissionen in Deutschland

Klimasorgenkind: Treibhausgas-Emissionen in Deutschland
Quelle: Allianz pro Schiene auf Basis von Umweltbundesamt 17.03.2015. Werte für 2014 = Prognose. 1 Ziel der Bundesregierung: Gesamte CO2-Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent unter das Niveau von 1990 senken.
Treibhausgas-Emissionen in Deutschland Entwicklung von 1990 bis 2014 in %, 1990=100 %.

„Trotz der niederschmetternden Emissions-Werte gibt es eine gute Nachricht“, sagte Oliver Lah, Leitautor des Klimakapitels im IPCC-Bericht. „Uns ist es inzwischen gelungen, den Mythos des „schwierigen Verkehrssektors“ zu entzaubern. Das Thema Klimawandel spielt inzwischen eine zentrale Rolle in führenden Städten wie Kopenhagen, Zürich oder Freiburg, die als Leitbilder funktionieren und an allen Ebenen der Alltagsmobilität ansetzen. Auch wenn es beim Verkehr nicht den einen Schalter gibt, den man einfach umlegen könnte, kann das zwei-Grad Klimaziel noch erreicht werden.“ Der Eisenbahn und dem öffentlichen Verkehr komme dabei eine wesentliche Rolle zu: Allein die Verlagerung auf klimafreundliche Verkehrsmittel, etwa den öffentlichen Nahverkehr berge ein Klimagas-Einsparpotenzial von bis zu 30 Prozent, sagte der Wissenschaftler vom Wuppertal Institut für Klimaschutz.

Video: Statement von Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene



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Dass auch der Güterverkehr mit unternehmerischem Esprit kostengünstig und umweltfreundlich auf die Schiene verlagert werden kann, berichtete Klaus Engelmann, der für die Firma Henkel seit 2009 in immer größerem Stil Transporte auf die Schiene verlegt. „Es fing damit an, dass Henkel sich Nachhaltigkeit als Konzernziel gesetzt hat. Wir wollten von 2011 bis 2015 unseren ökologischen Fußabdruck verkleinern.“ Engelmann entwickelte daraufhin ein Schienen-Konzept für die Körperpflegeprodukte von Henkel. „Die Bilanz kann sich sehen lassen: Seitdem unsere Haarkosmetika, zum Beispiel Schauma und Schwarzkopf, über einen neugebauten Bahnanschluss von der privaten Bayernbahn transportiert werden, sparen wir 6500 Lkw-Fahrten pro Jahr“, rechnete der Logistik-Fachmann vor. Seine Bilanz nach fünf Jahren: „Die Bahn funktioniert.“ Obwohl es für ein Unternehmen natürlich immer leichter sei, einfach einen Lkw zu bestellen, sind bei Henkel weitere Verlagerungsprojekte von der Straße auf die Güterbahn in Planung. 

Aus Sicht der Politik entwickelt sich der Verkehrssektor „zu träge“: Anton Hofreiter, Vorsitzender der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, drückte die Hoffnung aus, dass die Autoindustrie die Abgas-Krise als Weckruf ansehe, statt in Schockstarre zu fallen. „Wir brauchen das Null-Emissions-Auto, aber damit sind natürlich unsere Probleme nicht gelöst: Die Verkehrsfläche ist nur einmal zu vergeben und hier haben Pkw und Lkw ein Problem: Sie sind zu groß.“ Um die Verkehrswende einzuleiten, brauche Deutschland einen integralen Taktfahrplan nach Schweizer Vorbild und eine moderne Stadtplanung, die mit kurzen Wegen arbeite. „Mobilität ist viel mehr als Automobilität“, sagte Hofreiter. „Wir brauchen eine engagierte Verkehrspolitik, die sich nicht mehr nur ständig über die Autoindustrie unterhalten will. Dann haben wir beides: mehr Mobilität und weniger Verkehr.“