Die Rückkehr der Nachtzüge

Im Schlaf durch ganz Europa. Der Nachtzug ist die entspannteste Art des Reisens.

Der Nachtzug steht in Europa vor einer Renaissance. Noch vor einigen Jahren schienen die rollenden Hotels wie aus der Zeit gefallen, aber jetzt erlebt das Geschäft einen Aufschwung. In mehreren Ländern gibt es Initiativen, das jahrelang geschrumpfte Nachtzugangebot wieder zu erweitern. Den Anstoß dazu gibt die wachsende Nachfrage nach Bahnreisen und nicht zuletzt die Klimaschutzdiskussion.

1. Was versteht man unter einem Nachtzug?

Nachtzug, im klassischen Sinn, steht für nachts verkehrende Züge des Personenverkehrs, die Schlaf- oder Liegewagen führen. Zusätzlich zu den Schlafmöglichkeiten, bieten die meisten Nachtzüge auch Sitzgelegenheiten an. Im Schienenpersonenfernverkehr dienen sie dazu, über Nacht lange Strecken mit wenig Zwischenhalten zurückzulegen. Das bedeutet, erst die speziellen Schlaf- und Liegewagen machen einen nachts verkehrenden Zug zu einem Nachtzug.  
Nur so können Nachtzüge zu einem rollenden Hotel werden, angepasst an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Reisenden: Hotel-Standard für die Langstrecke sowie Sitzwagen für die nächtlichen Kurzstrecken. Zudem fahren in vielen Ländern nachts auch konventionelle Reisezüge, wie zum Beispiel in Deutschland ICEs oder Intercitys der Deutschen Bahn.

2. Zur Geschichte der Nachtzüge

Die Geschichte der Nachtzüge begann in Deutschland vor mehr als 150 Jahren. Damals galt Zugfahren über Nacht als exklusive Art des Reisens und war vor allem in der gehobenen Klasse beliebt. Besonders eindrücklich zeigt das etwa die Verfilmung des Kriminalromans „Mord im Orient-Express“: Hier wird der Zug zum Tatort, an dem die mondäne Reisegesellschaft in einen Kriminalfall verwickelt wird.   
In den 1950er-Jahren wurden Nachtzüge zum Massenverkehrsmittel. Sie brachten die Westdeutschen im Schlafwagen in den Süden: Es gab Nachtzüge zwischen Dortmund und Athen oder zwischen München und Neapel. Die Ostdeutschen fuhren mit den Zügen über Nacht an die Ostsee oder von Berlin nach Budapest.     
Mit dem Ausbau der Schnellfahrtstrecken verloren die Nachtzüge allerdings an Bedeutung. Für viele Termine, die früher nur mit einer Nachtzugfahrt erreichbar waren, genügt heute der morgendliche ICE. Als dann noch Billigflieger und Fernbusse der Bahn Konkurrenz machten, ging die Nachfrage nach Fahrten im Schlaf- oder Liegewagen weiter zurück. Ende 2016 stellte die Deutsche Bahn AG ihre Nachtzüge ein, weil sie ihr zu unrentabel geworden waren.

3. Was sind die Vorteile des Nachtzuges?

Heute erfreuen sich Nachtzüge wieder großer Beliebtheit. Einer der Gründe für die Nachfrage, ist das gewachsene Klimabewusstsein in der Gesellschaft. Viele Menschen sehen Nachtzüge aber auch als bequeme Alternative. Wir haben alle Vorteile für Sie zusammengefasst.

  • Umweltfreundlich

Bei einer Reise mit dem Nachtzug stößt man gut dreißigmal weniger CO2 aus, als mit einem Flugzeug auf der gleichen Strecke.

  • Komfortabel

Bei einer Fahrt mit dem Nachtzug beginnen die Ferien bereits bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof. Überfüllte Check-In-Hallen oder Stress beim Boarding? Fehlanzeige. Mit Betreten des Zuges ist der Alltagsstress vergessen. Außerdem ist das Nachtzugfahren eine gute Alternative bei Flugangst.

  • Zeiteffizient

Anstatt erst zu fahren und dann zu schlafen oder andersherum, lässt sich beides kombinieren. Die Kilometer, die man im Schlaf zurückgelegt hat, vermitteln einem das angenehme Gefühl, keine Reisezeit verloren zu haben. Außerdem kann die Nacht im Zug eine Übernachtung im Hotel ersetzen. Morgens kommt man dann ausgeruht am Ziel an.

  • Direkt am Ziel

Der Ankunftsbahnhof liegt in der Innenstadt und damit meist näher am Zielort als Flughäfen. Die An- und Weiterreise vom Flughafen entfällt somit.

  • Gepäckfreiheit

Während bei den meisten Airlines die Gepäckmitnahme an bestimmte Kosten gebunden ist, darf man im Nachtzug sein Gepäck einfach mitnehmen.

Frühstück am Bett? Nur einer der Vorteile von der Reise per Nachtzug.
Ausgeruht und entspannt das Reiseziel erreichen: In den Schlafkabinen der Nachtzüge lässt es sich gut träumen.

4. Wie sieht das Nachtzugangebot in Deutschland aus?

Hauptanbieter für Nachtzüge in Deutschland sind seit 2016 die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), als die Deutsche Bahn sich für das Ende ihres Nachtzugbetriebs entschied. Dafür binden nun die ÖBB und weitere Anbieter zahlreiche deutsche Städte mit Schlaf- und Liegewagen an das europäische Ausland an: In den letzten Jahren kamen neue Nightjet-Verbindungen von Deutschland nach Österreich, in die Schweiz und nach Italien hinzu, Nachtzüge von Hamburg und Düsseldorf nach Wien gab es bereits. Mittlerweile bieten die ÖBB mehr als 20 Verbindungen von, nach und durch Deutschland an, einige davon ab Dezember 2023 mit ganz neuen Nachtzügen. Seit Dezember 2023 gibt es außerdem dreimal wöchentlich auch wieder die Nachtzugverbindungen Berlin – Paris und Berlin – Brüssel, die zukünftig sogar jede Nacht verkehren sollen.

Hinzu kommen die Nachtzüge verschiedener weiterer Anbieter, darunter auch Unternehmen, die in der Saison Urlaubsgebiete ansteuern. Seit 2021 gibt es während der Sommermonate einen Nachtzug des Betreibers Snälltåget zwischen Berlin und Stockholm, seit Herbst 2022 verbinden außerdem Züge der SJ sogar ganzjährig Berlin und Hamburg mit Stockholm. Das belgisch-niederländische Start-Up European Sleeper bietet seit 2023 dreimal wöchentlich eine Verbindung von Brüssel über Rotterdam und Amsterdam nach Berlin (zukünftig sogar bis nach Prag) an. Und BTE bietet im Sommer einen Autoreisezug zwischen Hamburg und Lörrach an.

5. Wie sieht es in Europa aus?

Auch in Europa sind die ÖBB der größte Anbieter von Nachtzügen. Im Jahr 2016 übernahmen die Österreicher nicht nur das Nachtzug-Geschäft der Deutschen Bahn. Zusätzlich betreiben sie auch die Nachtverbindungen zwischen der Schweiz und Deutschland. Hinzu kommen weitere Ziele in Italien und Osteuropa. Die ÖBB weiten ihr Angebot schrittweise aus: Im Januar 2019 fuhr erstmals ein Nachtzug zwischen Wien und Brüssel. Seit 2021 gibt es Nachtverbindungen von Wien nach Amsterdam und nach Paris und 2022 folgten neue Verbindungen nach Bukarest in Rumänien. Ebenfalls neu ist die Partnerschaft zwischen der Schweizerischen Bundesbahn (SBB) und der ÖBB für Strecken aus der Schweiz nach Amsterdam und Prag: Beide werden durch Deutschland führen und durch Sitzwagen der DB ergänzt.

Auch in Osteuropa gibt es weitere Angebote: Von Prag aus sind die Nachtzüge des Unternehmens RegioJet unterwegs mit Zielorten wie Kaschau im Osten der Slowakei und während der Sommermonate auch Rijeka in Kroatien. Zwischen mehreren polnischen Städten beitreiben die Polnischen Eisenbahnen (PKP) inländische Nachtzugverbindungen. In Schweden wird der Nachtzugverkehr in Anbetracht einer deutlich ansteigenden Nachfrage inländisch ausgeweitet und auch der internationale Verkehr ausgebaut. Auch die französische Eisenbahngesellschaft (SNCF) investiert vermehrt in die Erweiterung ihres Nachtzugangebots. So gibt es wieder Züge von Paris nach Nizza und Lourdes, im Sommer 2022 wurde die Nachtzugverbindung von Paris nach Hendaye an der spanischen Grenze im Westen reaktiviert.

 

Der ÖBB Nightjet ist der Marktführer bei Nachtzügen in Deutschland.
Der Nightjet der ÖBB startet an vielen deutschen Bahnhöfen wie Berlin, Hamburg und Düsseldorf.

6. Was verspricht die Zukunft?

Es gibt deutliche politische Sympathie für ein größeres europäisches Nachtzugnetz. Die Europäische Kommission hatte das Jahr 2021 zum europäischen Jahr der Schiene erklärt – wodurch der Schienenverkehr eine besondere Aufmerksamkeit erfuhr. Besonders der internationale Personenverkehr wurde durch Aktionen wie einer Sonderzugfahrt durch ganz Europa mit dem Connecting-Europe-Express prominent ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Als Ergebnis des Themenjahres wurden ambitionierte politische Absichtserklärungen zum Aufbau eines transeuropäischen Zugnetzes mit vielen Direktverbindungen zwischen europäischen Großstädten, darunter auch Nachverbindungen, präsentiert. Diese sollen durch die Verknüpfung in einem integralen Taktfahrplan, dem Europatakt (Verweis Deutschland Takt) eine dichte und effiziente Mobilität ermöglichen.

Der politische Wunsch zum Ausbau des  Nachzugnetzes ist also vorhanden, besonders auf EU-Ebene.

Der politische Wunsch zum Ausbau des Nachzugnetzes ist also vorhanden, besonders auf EU-Ebene. Dennoch ist nicht klar, wie dieser sich in den nächsten Jahren in die Praxis übersetzt, denn an den Wettbewerbsnachteilen der Schiene gegenüber Flug- und Straßenverkehr hat die Politik bislang nichts geändert. Der ehemalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hat sich zwar explizit für den Ausbau der Nachtverbindungen ausgesprochen, finanzielle Unterstützung und konkrete Maßnahmen stellte er aber nicht in Aussicht. So müssen sich die Bahnunternehmen weiter gegen den bevorteilten Flug- und Straßenverkehr behaupten und nach Wegen suchen, damit sich ihre Angebote wirtschaftlich rentieren. Somit sind Nachtzüge oft nicht die kostengünstigste Alternative, was die Nutzbarkeit der Angebote auf das zahlungskräftige und -willige Publikum einschränkt. Andere Unterstützung erfährt das Nachtzugangebot in Frankreich, wo der französische Staat 100 Millionen Euro für Renovierung der Züge und Ausweitung des Netzes zur Verfügung stellte.

Renaissance der Nachtzüge hat längst begonnen

Trotz einiger Hürden und bislang eher bescheidener politischer Unterstützung, ist zu erkennen, dass die Renaissance der Nachtzüge längst begonnen hat. Die Nachfrage nach ökologischen Reisemöglichkeiten trifft auf ein immer besseres Angebot. Erfreulich ist die wachsende Zahl der Anbieter, und der Einsatz der Staatsbahnen ebenso wie privater Unternehmen, die ein größeres und vielfältiges Streckenangebot schaffen. Und auch mehr Komfort wird es auf einigen Strecken geben: Die ÖBB investieren stark in neue Schlaf- und Liegewagen, die seit diesem Jahr durch Europa rollen. Mehr Platz, bessere Waschmöglichkeiten und abschließbare Schlafkapseln für Einzelreisende lassen das entspannte und nachhaltige Reisen mit dem Nachtzug immer attraktiver werden. Eine noch zu überwindende Hürde ist die fehlende Übersicht über die vielfältigen Verbindungen. Es erscheinen nicht alle Anbieter auf allen Buchungsplattformen. Bislang bieten private Webseiten und Blogs die besten Übersichten, in Europa mit dem Nachtzug zu reisen.

7. Welche Probleme gibt es beim Ausbau der Nachtzugverbindungen?

Ein großer Knackpunkt in der Umsetzung eines grenzüberschreitenden Nachtzugverkehrs sind die national sehr unterschiedlichen Vorschriften für Technik und Betrieb. Dieser regulatorische Flickenteppich verursacht nicht nur im Güter-, sondern auch im Nachtzugverkehr große Probleme. Unkoordinierte Baustellen sorgen dafür, dass Züge ersatzlos ausfallen oder erst gegen Mittag ihren Zielbahnhof erreichen – das ist für Geschäftsreisende und manche Touristen zu spät.

Ungleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen für hohe Verbraucherpreise

Im grenzüberschreibenden Fernverkehr im Flugzeug beträgt der MwSt. Satz 0 Prozent. Mit der Bahn sind es 7 Prozent.

Besonders im Wettbewerb mit dem Flugzeug und Fernbus muss sich der Nachtzug behaupten. Während die komfortablen Schlafwagen der ÖBB in den meisten Fällen ausgebucht sind, haben es die günstigen Sitzwagen schwer, da die Konkurrenz groß ist: Hier schauen die Kunden vornehmlich auf den Preis und vergleichen ihn mit Angeboten von Billigfluggesellschaften und Fernbussen.   
Dass die Bahn häufig teurer ist als der Bus oder das Flugzeug, ist auch auf die höhere Belastung bei der Mehrwertsteuer zurückzuführen. Während der klimaschädliche Flugverkehr bei internationalen Flügen gänzlich von der Mehrwertsteuer befreit ist, müssen Fernreisende im Zug bis zur deutschen Grenze einen Mehrwertsteuersatz von 7 zahlen. Die Eisenbahn zahlt außerdem in Deutschland den zweithöchsten Stromsteuersatz in ganz Europa – hinzu kommen die Ökosteuer und EEG-Umlage. Der Luftverkehr ist dagegen gänzlich von einer Treibstoffsteuer befreit. Somit zahlen Urlauber mit Umweltbewusstsein mehr.