Themen: Güterverkehr

Thüringen gegen Ausweitung des Riesen-Lkw-Netzes

Gigaliner: 80 Prozent Ablehnung in Baden-Württemberg und NRW

Die Bürger sagen „nein“ zu überlangen Lastwagen auf deutschen Straßen. Der Bund hält an seinem Testversuch und der schleichenden Ausweitung des Netzes fest. (Foto: Marcus Dewanger)

Berlin, den 27. November 2014. Angesichts des zuletzt im September gewachsenen Strecken-Netzes für Riesen-Lkw in Deutschland begrüßt die Allianz pro Schiene den Gigaliner-kritischen Kurs der designierten Koalitionsparteien in Thüringen. In ihrem Koalitionsvertrag sprechen sich SPD, Linke und Grüne dagegen aus, das dortige Streckennetz für den Gigaliner-Test des Bundes auszuweiten. „In Thüringen will man im Sinne der Bürger handeln“, sagte der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, am Donnerstag in Berlin und verwies auf eine repräsentative forsa-Umfrage aus dem Sommer 2014, die auch das Meinungsbild in den Bundesländern abfragt. „80 Prozent der Menschen in Thüringen und in anderen Regionen Ostdeutschlands lehnen den Einsatz von Riesen-Lkw auf deutschen Straßen ab“, sagte Flege. „Trotzdem fordert der Bund die Länder regelmäßig auf, weitere Strecken nachzumelden. So wächst das Netz schleichend weiter. Dieser Salami-Taktik hat sich Thüringen jetzt klar verweigert.“ Mit seiner Ablehnung steht Thüringen nicht alleine da: Auch Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben sich in ihren Koalitionsverträgen gegen Gigaliner ausgesprochen.

Die bundesweit höchste Ablehnung der überlangen Lastwagen findet sich laut forsa in Baden-Württemberg (83 Prozent) und in Nordrhein-Westfalen (82 Prozent). Bayern liegt mit 79 Prozent Gigaliner-Gegnern genau auf dem Bundesdurchschnitt. „Während die Regierungen in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg standhaft bleiben und Riesen-Lkw aus Rücksicht auf Umwelt, Infrastruktur und Verkehrssicherheit ablehnen, beteiligt sich Bayern an dem Test des Bundes“, sagte der Allianz pro Schiene-Geschäftsführer.

Unklarer ist die politische Lage in Niedersachsen. „Obwohl die rot-grüne Regierung in Hannover in ihrem Koalitionsvertrag geregelt hat, keine weiteren Strecken zu genehmigen, hat Niedersachsen erst kürzlich das Netz für den Riesen-Lkw-Test erweitert“, kritisierte Flege. Das Bürgervotum sei laut forsa auch in Niedersachsen eindeutig. „Mehr als zwei Drittel der Niedersachsen sind gegen Riesen-Lkw auf den Straßen.“

Die Allianz pro Schiene forderte die Bundesregierung auf, den seit fast drei Jahren laufenden Riesen-Lkw-Test zu beenden. „Der Bund will mit diesem Test Fakten schaffen und sich darüber hinwegsetzen, dass die Menschen in Deutschland keine Riesen-Lkw wollen“, sagte Flege.

Fragen und Antworten zum Gigaliner

1. Was ist eigentlich ein Riesen-Lkw?
Sie heißen Gigaliner, EuroCombi, Ökoliner oder Lang-Lkw, doch hinter den harmlosen Namen verstecken sich noch längere und schwerere Lastwagen. Deutschland erlaubt 25 Meter lange und bis zu 44 Tonnen schwere Lastwagen in einem sogenannten Feldversuch. Doch überall dort in Europa, wo Riesen-Lkw eingesetzt werden, wiegen sie bereits 60 Tonnen – etwa in den Niederlanden oder Dänemark. Schweden hat gerade angekündigt, das Lkw-Gewicht von 60 auf 74 Tonnen zu erhöhen – Versuche mit 30 Meter langen und 90 Tonnen schweren Lkw laufen.

2. Wo fahren Gigaliner in Europa?
In Finnland und Schweden fahren Riesen-Lkw schon lange. Doch die weiträumigen, relativ dünn besiedelten skandinavischen Regionen mit wenig Straßenverkehr sind nicht zu vergleichen mit dem Rest Europas. Dort ist das Straßennetz dicht gebaut und stark befahren – für Gigaliner nicht geeignet. Auch Dänemark und die Niederlande testen 25 Meter Lkw mit 60 Tonnen.

3. Wo fahren Gigaliner in Deutschland?
Deutschland hat im Dezember 2011 eine Ausnahmeverordnung erlassen, um Riesen-Lkw zu testen. Die Verordnung, die vom Bundesverkehrsministerium ohne Beteiligung der Bundesländer erlassen wurde, sieht vor, dass Gigaliner neben Autobahnen und Bundesstraßen auch auf einer Vielzahl von Landes-, Kreis- und Gemeindestraßen fahren dürfen. In folgenden Bundesländern fahren zur Zeit Riesen-Lkw: Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Hessen, Thüringen, Sachsen und Bayern. Seit dem Regierungswechsel in Schleswig-Holstein ist das Land skeptisch gegenüber dem Versuch. Die Testfahrten sind auf fünf Jahre – bis Ende 2016 – angesetzt. Zwei Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das einseitige Vorgehen des Bundes blieben erfolglos.

4. Was erhoffen sich die Befürworter?
Die Befürworter übergroßer Lkw werben gerne mit Umweltargumenten, in Wirklichkeit versprechen sie sich aber eine Kostenersparnis im Lkw-Transport von bis zu 30 Prozent. Zu den Befürwortern von übergroßen Lkw gehört der Verband der Automobilindustrie (VDA), der Bundesverband des Groß- und Außenhandels (BGA) und weitere Verbände des Straßentransportgewerbes.

5. Was befürchten die Gegner?
Die Gegner von übergroßen Lkw befürchten, dass durch die Verbilligung des Lkw-Verkehrs durch Gigaliner ein Anreiz für mehr Straßengüterverkehr geschaffen wird. Durch den Kostenvorteil der Gigaliner könnten Güter von umweltfreundlichen Verkehrsträgern zurück auf die Straße verlagert werden. Das Ergebnis wären mehr Lkw-Fahrten und eine größere Umweltbelastung. Zu den Gegnern von übergroßen Lkw zählen die in der Allianz pro Schiene zusammengeschlossenen Automobilclubs, Umweltverbände und Eisenbahnen sowie der Deutsche Städtetag und die Deutsche Polizeigewerkschaft. Auf EU-Ebene haben sich die Gegner zum Bündnis No Mega Trucks zusammengeschlossen.

6. Wie entscheidet die EU in Sachen Riesen-Lkw?
EU-Parlament und EU-Verkehrsminister haben in diesem Jahr den Vorschlag der EU-Kommission zurückgewiesen, grenzüberschreitende Fahrten von Riesen-Lkw zwischen Nachbarstaaten zu erlauben. Während in einigen Mitgliedsstaaten Versuche mit Riesen-Lkw laufen, zeigt die EU dem Gigaliner nun das Stoppschild und schlägt mit Sicherheitsverbesserungen und aerodynamischen Optimierungen bei den Fahrzeugmaßen einen grundsätzlich anderen Weg ein.