Gold: Kujtim Haziri

Für Shequita Curby und ihren Ehemann Sam ist es ein Tag, den sie nie wieder vergessen werden. Gerade kommen sie mit dem Zug aus Amsterdam zurück ins beschauliche Wittlich, in Rheinland-Pfalz. Die junge Amerikanerin arbeitet dort im Finanzbereich. Drei Jahre sind Sam und sie verheiratet und haben das mit einer Reise in die Niederlande gefeiert. Auf einmal reagiert die Mutter einer 12-jährigen Tochter nicht mehr auf die Fragen ihres Ehemannes. In der Bahnhofsunterführung bricht sie plötzlich zusammen. Ihr Mann gerät in Panik, ruft um Hilfe – aber niemand reagiert.

Auf dem Bahnsteig hört Zugbegleiter Kujtim Haziri die Rufe des verzweifelten Mannes und rennt runter, um nachzusehen, was passiert ist. Er fühlt den Puls und beginnt sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen, während er auch noch den Notruf wählt. Mehr als eine Viertelstunde reanimiert er die junge Frau, bis der Notarzt eintrifft und übernimmt. Eine halbe Stunde kämpfen die Ärzte um das Leben von Shequita. Dann ist klar – sie wird überleben.

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Lieber Herr Kujtim Haziri…

Nennen Sie mich Tim, das tun alle.

Gerne, lieber Tim, herzlichen Glückwunsch zum Eisenbahner mit Herz!

Danke, aber der Preis gilt nicht mir allein, sondern meiner ganzen Umgebung, meinem Vorgesetzten Udo Steffen und meinen Kollegen. Ohne die wäre ich nicht der Mensch, der ich bin. Der Preis geht an alle.

In diesem Fall haben Sie allein Herz und Mut gezeigt und ein Leben gerettet. Wie kam es dazu?

Der Tag, ein kalter Novembertag, fing ganz normal an. Von meinem Teamleiter habe ich gelernt, dass wir auch Spaß bei der Arbeit haben dürfen. Und das habe ich: Wir begrüßen unsere Reisenden per Ansage, ich mache gerne etwas Small Talk, lerne immer neue Reisende kennen. Es ist ein schöner Beruf. Und es war eine ganz normale Fahrt – bis Wittlich.

Und was passierte dort?

Als ich den Zug verließ, hörte ich Hilferufe aus der Unterführung. Andere hörten das auch, aber sie schauten lieber in eine andere Richtung. So einer bin ich aber nicht: Ich bin hingeeilt und habe gesehen, dass ich den Notarzt rufen muss. Die Frau war bewusstlos und hat nicht mehr geatmet. Gemeinsam mit ihrem Mann habe ich mit der Reanimation und Mund-zu-Mund-Beatmung begonnen. Ich habe ihm einfach gesagt, was er machen soll. Zum Glück hatte ich gerade meinen Erste-Hilfe-Kurs aufgefrischt. So haben wir fast 20 Minuten durchgehalten, bis der Notarzt kam. Der hat sie dann wieder ins Leben zurückgeholt. Im Krankenhaus haben sie dann festgestellt, dass sie einen Herzinfarkt hatte und operiert werden muss.

Wie haben Sie sich gefühlt?

Es war ein unbeschreibliches Gefühl, einfach unbeschreiblich. Ich habe gedacht, wir haben sie nicht verloren, das Leben geht weiter. Und nicht nur für sie, sondern auch für alle Menschen, die sie lieben, ihr Mann, ihre 12-jährige Tochter, ihre Mutter.

Haben Sie alle kennengelernt?

Ja, nach drei Tagen im Krankenhaus wollte sie mich kennenlernen. Ich habe später auch ihre ganze Familie kennengelernt. Und ich habe noch heute regelmäßigen Kontakt zu ihr: Ich freue mich jedes Mal, wenn ich ihre Stimme höre und wenn sie lacht.

Das ist ja erfreulicherweise kein Alltag. Aber eine Erste-Hilfe-Ausbildung ist ja zum Glück Pflicht für Zugbegleiter.

In diesem Fall war es auch noch ein Glück, dass ich gerade den Auffrischungskurs gemacht hatte, der alle zwei Jahre fällig ist.

Mussten Sie Ihre Erste-Hilfe-Kenntnisse schon vorher anwenden?

Am Bahnsteig 4 in Koblenz. Da war eine Frau auf einer Rolltreppe ausgerutscht und hatte sich die Knie übel aufgeschlagen. Ich habe sofort den Erste-Hilfe-Kasten geholt und die blutenden Wunden verbunden. Sie und ihr Mann waren Flüchtlinge aus Syrien und kannten sich nicht gut aus. Da habe ich sie dann noch in das Brüderkrankenhaus in Koblenz gebracht.

Wie sind Sie denn zur Bahn gekommen?

Ich bin schon als kleines Kind sehr gerne mit meinen Eltern in der Bahn schöne Strecken gefahren, oft sind wir nach Griechenland gereist, das waren lange Fahrten. Und ich lerne gerne neue Leute kennen. Als ich aus dem Kosovo nach Deutschland kam, habe ich zuerst als Weinverkäufer am Kaiserstuhl gearbeitet. Und mich dann bei der Bahn beworben. Die haben mich genommen, obwohl ich schon den Bewerbungsschluss versäumt hatte. Was für ein Glück! Für mich fühlt sich das manchmal gar nicht nach Arbeit an, sondern ich bin komplett dabei.

Gibt es denn etwas, was sie sich nach so vielen Jahren von Ihren Gästen wünschen?

Ach, die Bahn ist wie mein zweites Zuhause. Ich verbringe hier so viel Zeit und kenne viele meiner Gäste. Hier an der Mosel ist die Natur so schön. Ich freue mich, wenn sie einfach die Fahrt genießen können. Und wenn sie etwas auf dem Herzen haben, können sie mich jederzeit ansprechen.

Haben Sie selbst einen Lieblingsfahrgast?

Ja, das habe ich wirklich: Es ist ein vierjähriger Junge, der regelmäßig mit seiner Mutter Zug fährt. Er ist ein unglaublicher Sonnenschein: Er strahlt mich immer an, wenn er mich sieht, und möchte auf den Arm. Er bringt alle Reisenden zum Lachen, da ist die Stimmung im Zug richtig gut.

Vielen Dank, Tim!