Verfassungsrechtler zu Schienenfonds: „Eine Gesetzesänderung genügt“

Verfassungsrechtler Prof. Dr. Joachim Wieland im Gespräch mit dem Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege.

Schienenfonds Wieland

Nach jahrzehntelangen Einsparungen hat Deutschland bei seiner Schieneninfrastruktur viel nachzuholen. Dafür braucht es eine verlässliche, langfristige Finanzierung. Die von der Bundesregierung eingesetzte Beschleunigungskommission Schiene schlägt vor, die Finanzierung der Schieneninfrastruktur auf eine mehrjährige Grundlage zu stellen. In ihrem Abschlussbericht hat die Kommission den Bund aufgefordert, dafür zwei Fonds zu schaffen. Damit verbunden ist die Hoffnung, die Finanzierung zu vereinfachen, indem aus 189 Finanzierungstöpfen zwei werden. Außerdem würde so eine langfristige Finanzierungssicherheit auch für Neu- und Ausbauprojekte geschaffen.

Prof. Dr. Joachim Wieland ist Verfassungs- und Verwaltungsrechtler. Seine Schwerpunkte sind das Finanz- und Steuerrecht sowie das öffentliche Wirtschaftsrecht. Er hat die Bundesregierung im Verfahren über die Schuldenbremse (November 2023) vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten und ist seit 2006 Mitglied des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen. Von 2011 bis 2017 war er Rektor der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.

Herr Prof. Dr. Wieland, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe zum Klima- und Transformationsfonds am 15. November 2023 hat die Bundesregierung Zweifel geäußert, ob eine Fondslösung für die Schiene rechtmäßig ist. Was bedeutet das Urteil aus Ihrer Sicht für die Idee der zwei Schieneninfrastrukturfonds?

Aus meiner Sicht schafft das Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine Hindernisse, zwei Infrastrukturfonds für die Schiene einzurichten. Das Gericht hat sich mit der Schuldenbremse beschäftigt. Im Vordergrund stand die Frage: Unter welchen Umständen dürfen Bund und Länder von der Schuldenbremse abweichen und Kredite aufnehmen? In diesem Zusammenhang hat sich das Bundesverfassungsgericht auch mit der Fondswirtschaft und mit Sondervermögen befasst – aber nur mit der Frage, wie eine Notlagensituation und die darin zulässige Kreditaufnahme davor gesichert werden kann, dass sie missbraucht wird und Kredite auch in Zeiten aufgenommen werden, in denen keine Notsituation herrscht.

Wenn man unabhängig von einer Notsituation solche Fonds einrichtet – aus normalen Haushaltsmitteln oder aus der für den Bund ja in einem gewissen Umfang zulässigen Verschuldung, spielt das neue Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine Rolle.

Das heißt, das Urteil des Verfassungsgerichtes spielt keine hinderliche Rolle, was eine mögliche Überjährlichkeit bei der Verwendung von Bundesmitteln in Eisenbahninfrastrukturfonds anbelangt?

Ja, man kann das auch überjährig verwenden. Das Bundesverfassungsgericht hat das Jährlichkeitsprinzip (Anm. d. Red.: das Prinzip, dass Ausgaben aus dem laufenden Haushaltsplan grundsätzlich nur bis zum Ende des Haushaltsjahres geleistet werden dürfen) ja nur deshalb stark gemacht, damit es keine Umgehung der Schuldenbremse gibt. Es steht aber schon im Grundgesetz in Artikel 110 Absatz 1, dass es solche Sondervermögen geben darf.

Sondervermögen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie längerfristige Investitionen finanzieren sollen, die man nicht von Jahr zu Jahr nur mit Haushaltsmitteln auf die Schiene stellen kann.

Und Sondervermögen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie längerfristige Investitionen finanzieren sollen, die man nicht von Jahr zu Jahr nur mit Haushaltsmitteln auf die Schiene stellen kann – im wahrsten Sinne des Wortes. Diese verfassungsrechtliche Aussage in Artikel 110 Absatz 1 Grundgesetz hat das Bundesverfassungsgericht für den Normalfall, wenn es nicht um die Schuldenbremse geht, in keiner Weise eingeschränkt.

Und wie kann der Bund, wenn er tatsächlich diese zwei Schieneninfrastrukturfonds mit einer mehrjährigen Finanzierungsmöglichkeit einrichten möchte, das rechtlich auf den Weg bringen? Reicht eine einfache Gesetzesänderung?

Es würde eine einfache Gesetzesänderung reichen. Es müsste ein Gesetz erlassen werden, in dem die Errichtung der beiden Finanzierungsfonds festgelegt wird. Und dann müsste noch geregelt werden, woher diese Fonds ihr Geld bekommen. Und dieses Geld dürfte nicht aus Notlagenkrediten kommen. Das ist die Einschränkung.

Wenn man so ein Gesetz für einen Fonds auf den Weg bringt, könnte man dann auch gleich die überjährige Verwendung mitregeln? Oder muss man das gesondert machen?

Nein, das kann man gleich mitregeln. Wenn man so einen Fonds oder wie wir Juristen sagen würden, so ein Sondervermögen einrichtet, kann man alles über die Finanzierung, die Finanzquellen und die Verwendung in dem einen Gesetz regeln.

Und das Grundgesetz muss dafür definitiv nicht geändert werden?

Nein, das Grundgesetz muss für einen solchen Finanzierungsfonds nicht geändert werden. Das wäre nur der Fall, wenn man den Fonds aus Notlagenkrediten finanzieren wollte, aber dazu besteht keine Notwendigkeit. Die Fonds für die Schieneninfrastruktur können ja aus normalen Haushaltsmitteln finanziert werden.

Das Grundgesetz muss für einen solchen Finanzierungsfonds nicht geändert werden.

Wie erklären Sie sich dann die Stimmen aus dem Bundesverkehrsministerium, die sagen: Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes ist die Fondsidee, die wir ja eigentlich ganz gut finden, juristisch ohne Änderung des Grundgesetzes nicht mehr machbar?

Gegenstimmen sagen, die Jährlichkeit ist durch das Urteil so gestärkt worden, dass sie immer gelten muss, also auch für den normalen Haushalt. Dazu steht aber nichts im Verfassungsgerichtsurteil. Ich denke, das Bundesverfassungsgericht hätte das ausdrücklich hineingeschrieben, wenn es die Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers hätte begrenzen wollen. Ich habe Bundesfinanzminister Lindner zusammen mit einem Kollegen vor dem Verfassungsgericht in dem Verfahren über die Schuldenbremse, das mit dem Urteil vom 15. November 2023 geendet hat, vertreten. Und wir haben weder in unseren Schriftsätzen noch in der mündlichen Verhandlung irgendetwas zu dieser Normallage gesagt. Auch das Bundesverfassungsgericht sagt dazu nichts in seinem Urteil, sondern beschränkt sich auf Aussagen zur Notlagensituation. Das ist meiner Ansicht nach der Beweis dafür, dass das Urteil für solche Finanzierungsfonds aus dem normalen Haushalt nicht gilt.

Gibt es andere Fonds in Deutschland, also praktisch Vorbilder, an denen sich die Politik bei der Schaffung eines Schieneninfrastrukturfonds orientieren kann, jenseits der Schuldenbremse oder jenseits der Notlage?

Das bekannteste Beispiel ist der Fonds Deutsche Einheit gewesen, der über viele Jahre bestanden hat. Auch dieser Fonds – damals aus Krediten finanziert – war ein Sondervermögen, mit dem Geld bereitgestellt wurde, um die Wiedervereinigung innerstaatlich voranzubringen. Und da hat niemand gesagt, das widerspricht der Jährlichkeit oder der Jährigkeit. Als die Schuldenbremse 2009 eingeführt wurde, hat das Parlament ausdrücklich gesagt: So eine Situation wie die Wiedervereinigung Deutschlands, die sollte von der Schuldenbremse nicht erfasst werden. Da greifen also diese engen Regelungen nicht. Das ist aus meiner Sicht das Paradebeispiel dafür, dass längerfristige Investitionen nicht jährlich finanziert werden können, sondern eine überjährige Finanzierung brauchen.

Herr Professor Wieland, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.