Tag und Nacht für die Eisenbahn

Thomas Böhm hat erst spät im Berufsleben seinen Weg zur Eisenbahn gefunden. 2020, während der Corona-Pandemie, entschied sich der gebürtige Nürnberger, seine Selbstständigkeit im Eventbereich aufzugeben und Kundenbetreuer bei der Bayerischen Regiobahn zu werden. Eine Entscheidung, die er noch keinen Tag bereut hat. Und die dem 56-Jährigen jetzt einen wohlverdienten Preis beschert.

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Herr Böhm, im Moment redet alle Welt über geregelte Arbeitszeiten und über die Möglichkeit, Arbeitszeit zu reduzieren. Sie haben im vergangenen Jahr am Ende einer Spätschicht freiwillig noch drei Stunden drangehängt. Wie kam es dazu?

Thomas Böhm: Ich war an diesem Abend mit dem letzten Zug von Rosenheim nach Kufstein unterwegs. Als ich in Kufstein ausgestiegen bin und kurz vor meinem Feierabend stand, habe ich auf dem Bahnsteig einen Vater und seinen zwölfjährigen Sohn getroffen. Die beiden haben mich angesprochen, weil sie ihren Zug nach München verpasst hatten – wegen eines Gleiswechsels, ärgerlich. Und nun standen sie da, es war schon nach Mitternacht, und es fuhr kein Zug mehr nach München.

Das ist ja eine wirklich blöde Situation. Und nicht die beste Uhrzeit, um noch ein Hotel zu finden…

Thomas Böhm: Ganz genau, das hatte der Vater schon ohne Erfolg versucht. Und mit dem Sohn am Bahnsteig zu übernachten, war natürlich auch keine sehr prickelnde Option. Ich hab dann gar nicht lange drüber nachgedacht und den beiden angeboten, sie mit meinem privaten Auto nach München zu fahren.

Wie, einfach so? Weil Sie ohnehin nach München mussten?

Thomas Böhm: Naja, nicht so ganz. Eigentlich hing da ein ganz schöner Umweg dran. Mein Auto stand in Rosenheim, also gut 40 Kilometer vom Bahnhof Kufstein entfernt. Ich habe Vater und Sohn dann angeboten, dass ich wie geplant mit dem Taxi zum Bahnhof Rosenheim fahre, dort schnell mein Auto auftanke und sie wieder in Kufstein abholen komme – um sie dann zum Münchner Hauptbahnhof zu bringen, von wo aus sie wie geplant weiter nach Hannover fahren könnten.

Herr Böhm, das klingt nach einem Riesen-Umweg. Wie lange waren Sie denn da unterwegs?

Thomas Böhm: Ja, schon. Unterm Strich hat es für mich so ungefähr 300 Extra-Kilometer bedeutet, also drei Stunden nach Feierabend. Ich wollte den beiden einfach helfen, Dienst-ende hin oder her.

Wann haben Sie die beiden ungefähr am Münchner Hauptbahnhof abgesetzt? Und wann waren Sie selbst dann wohlverdient in Ihrem Bett?

In Kufstein habe ich die beiden ungefähr um 2.30 Uhr abgeholt, und in München waren wir gegen 3.45 Uhr am Hauptbahnhof. Dort konnten Vater und Sohn kurz darauf in den ersten Zug nach Hannover steigen. Ich selbst war dann so zwischen 5.00 und 5.30 Uhr zuhause.

Das ist wirklich ein außergewöhnliches Engagement. Vater und Sohn waren Ihnen sicher total dankbar?

Thomas Böhm: Ja, auf jeden Fall haben sie sich gefreut. Leider haben wir keine Telefonnummern ausgetauscht. Wir haben uns am Münchner Hauptbahnhof verabschiedet. Und ich war froh, dass ich den beiden helfen konnte. Das hat mich dann sehr glücklich und zufrieden gemacht am Ende dieser langen Nacht.

Da konnten Sie aber auch wirklich mehr als zufrieden mit sich sein. Nun passiert sowas ja nicht an jedem Arbeitstag, das wäre dann vielleicht auch etwas zu viel des Guten. Woraus ziehen Sie bei der Arbeit Ihr ganz alltägliches Glück?

Thomas Böhm: Die Strecken, auf denen ich unterwegs bin – zwischen Rosenheim, München, Kufstein, Salzburg und Holzkirchen – sind einfach landschaftlich wunderschön. Außerdem habe ich den ganzen Tag Kontakt mit den Fahrgästen. Auf deren individuelle Wünsche und Bedürfnisse lasse ich mich gerne ein. Das macht mir in meinem Job als Zugbegleiter großen Spaß.

Nun sind Sie ganz offiziell einer unserer Eisenbahner mit Herz – dazu herzlichen Glückwunsch. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Thomas Böhm: Das ist für mich wirklich wie Ostern und Weihnachten zusammen! Ich mache die Erfahrung, dass so viele Eisenbahner und Eisenbahnerinnen täglich mehr als das Nötigste machen. Natürlich gehört dann auch Glück dazu, nominiert und ausgezeichnet zu werden. Dafür möchte ich mich bei dem Vater und dem Sohn und auch bei der Jury ganz herzlich bedanken. Den Preis teile ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen der Bayerischen Regiobahn, die genauso einen klasse Job machen. Wir hören immer von unseren Fahrgästen, dass wir hier besonders nett sind (lacht) – es ist wirklich eine schöne Arbeit, und sie macht wirklich großen Spaß.

Ich habe den Job als Zugbegleiter leider erst sehr spät entdeckt und bin froh, jetzt bei der Eisenbahn arbeiten zu dürfen. Ich kann den jungen Leuten nur empfehlen: Kommt zur Eisenbahn, das ist ein attraktiver Job. Wir brauchen euch!

Dem wollen wir gar nichts mehr hinzufügen, lieber Herr Böhm. Danke für das Interview und Ihre Zeit.