Gerard Versteeg (54) sagt von sich, er sei der beste holländische Lokführer bei metronom. Bevor der Zuhörer angesichts solcher Unbescheidenheit eine Gänsehaut bekommt, fügt Versteeg hinzu: „Weil ich der einzige holländische Lokführer bei metronom bin.“ Humor ist ein Charakterzug des Niederländers, der seit zehn Jahren mit seinem markanten Akzent die deutschen Fahrgäste entzückt. Den „fliegenden Holländer“ nennen sie den Mann, der Verspätungen rausfährt und trotzdem die energiesparende Fahrweise pflegt. Dass der Schichtdienst manchmal hart ist, daraus macht Versteeg kein Geheimnis: „Meine Frau ist verheiratet – ich bin bei der Bahn.“
Die Eisenbahn ein Massenbetrieb? Der Fahrgast ein Sandkorn in einer anonymen Masse? Nicht wenn Gerard Versteeg im Führerhaus sitzt. Ein Lokführer, der für einen gehbehinderten Fahrgast passgenau an der strategisch wichtigen Treppe hält und damit dessen knappe Anschlüsse sichert, der ist nicht nur hilfsbereit, sondern auch ein Könner seines Faches.
Dass der Metronom-Mann neben der energiesparenden auch die fahrgastfreundliche Fahrweise beherrscht, hat der Jury gefallen.
Und ein Lokführer, der für Rollstuhlfahrer aussteigt und nicht erst auf den Fahrgastbetreuer wartet, hat die Jury überzeugt: Das System Eisenbahn wäre unschlagbar, wenn es noch mehr solcher Mitarbeiter gäbe.
Herr Versteeg, wie fühlten Sie sich, als Sie erfahren haben, dass Sie „Eisenbahner mit Herz 2014“ geworden sind?
Ich hatte schon auf Ihren Anruf gewartet. Umso schöner, als er dann endlich kam. Nein, Spaß beiseite: Ich bin wahnsinnig glücklich und stolz. Mein Bruder ist auch Lokführer, allerdings in den Niederlanden. Ihm werde ich es zuerst erzählen. Vielleicht sollten Sie Ihren Wettbewerb mal ins benachbarte Ausland ausweiten. Die Eisenbahner in ganz Europa warten drauf.
Wir arbeiten dran. Wie sehen Sie Ihren Beruf? Sind Sie der typische einsame Wolf im Führerstand?
Lokführer ist mein Lieblingsberuf. Aber einsam wird es bei mir nicht. Mein Dienst hört nicht auf, wenn ich vorne im Führerhäuschen Platz genommen habe. Der Fahrgastbetreuer und ich, wir sind ein Team auf dem Zug. Wenn er mal nicht kann, mache ich eben die Ansagen.
Oder Sie springen raus und heben den Rollstuhl rein, wie Ihr Einsender voller Begeisterung geschrieben hat.
Mir ist es wichtig, dass die Fahrgäste sich als etwas Besonderes fühlen. Dafür laufe ich gerne den Bahnsteig runter.
Aber für einen Gehbinderten passgenau an einer strategisch wichtigen Treppe halten: Ist das nicht auch eine Frage von Können?
Ich bin als Lokführer einfach ein Naturtalent. Ich halte, wo ich halten will. Aber bei diesem Fahrgast war es schwieriger. Ich erinnere mich noch, wie er mich auf dem Bahnsteig ansprach und erklärte, er säße immer in Wagen 3. Ob ich so anhalten könnte, dass er gleich an der Treppe rauskommt. Ich sagte: „Das müssen wir beide erst noch auskaspern.“ Nach der ersten Fahrt fragte ich ihn: „Wie war’s?“ Er meinte: „Noch zehn Meter vorfahren?“ Seitdem halte ich immer an der zweiten Laterne, wenn er in Wagen 3 sitzt.
Und er?
Er bringt mir manchmal einen Kaffee auf den Bahnsteig. Inzwischen duzen wir uns.
Fahrgäste nennen Sie den „Fliegenden Holländer“?
Ich habe den Ruf, Verspätungen besonders schnell rauszufahren. Allerdings bremse ich so sanft, dass die Fahrgäste manchmal gar nicht merken, dass der Zug schon steht. Da rucken den Leuten nicht die Köpfe nach vorn. Das ist auch das Prinzip der energiesparenden Fahrweise: Wer später bremst, ist länger schnell.
„Ich fahre fast täglich um 6.09 Uhr von Uelzen nach Langenhagen, habe eine Gehbehinderung und in Langenhagen wenig Zeit, vom Zug zum Bus zu kommen, um dadurch eine frühere Straßenbahn zu erreichen. Ich sitze immer am Ende von Wagen 3, da das der Wagen ist, der meistens am dichtesten an der Treppe hält. Ab und zu muss ich aber auch noch an ein oder zwei Wagen vorbeilaufen zur Treppe. Dann sehe ich meinen Bus noch wegfahren, muss aber auf den nächsten warten.
Eines Tages lernte ich am Bahnsteig in Uelzen den Lokführer Gerard Versteeg kennen. Ich habe ihm die Geschichte erzählt und gefragt, ob er es hinbekommt, dass die hintere Tür von Wagen 3 nahe dem Treppengang vom Bahnsteig hält. Der Lokführer sagte, er wolle es versuchen, und immer, wenn er den 6.09er Metronom nach Langenhagen fährt, klappt das auch mit der Treppe! Mit seiner Hilfe habe ich dann etwas weniger Fahrzeit, aber auf drei Stunden täglich komme ich trotzdem.
Ich wünsche dem holländischen Lokführer den Titel.“
Andreas Kahlke (Uelzen)
Geschehen im August 2013: „Wir – eine achtköpfige Männertruppe mit einem Schwerbehinderten – sind von Lüneburg nach Gütersloh unterwegs. Aufgrund eines Stellwerkschaden fuhren wir verspätet von Lüneburg bis Uelzen. Dann sind wir umgestiegen in den Zug mit dem supernetten „fliegenden Holländer“ als Zugführer. Der Holländer hat uns während der Zugfahrt sehr nett, kompetent und auf eine lustige Art informiert. Aller Frust der Verspätung war vergessen.
Auch seine Hilfe für unseren Schwerbehinderten war herausragend. Obwohl der Zugführer allein war, ist er zur Hilfestellung beim Aus-und Einsteigen gelaufen! Von diesen Typen brauchen wir mehr. Unser Dank gilt dem netten und hilfsbereiten Holländer, der dazu noch kompetent über alle weiteren Verbindungen informierte. Vielen Dank!“
Thomas Lammering (Gütersloh)