Plötzlich Lokführer, Folge 1

Die Junglokführer – der erste Tag

Plötzlich Lokführer Folge 1

Zwanzig lange Jahre saß André Kleinbölting im Fahrerhaus seines Lkw und alles sprach dafür, dass er auch die nächsten zwanzig Jahre dort sitzen würde. Doch der 43-Jährige hat auf die Bremse getreten und einen Neuanfang gewagt. Seit Oktober lernt Kleinbölting den Beruf Lokführer auf einer Akademie der SBB Cargo International. Die Allianz pro Schiene wird den Quereinsteiger durch seine zehnmonatige Ausbildung am Standort Köln begleiten und in loser Folge berichten: Von den Hochs und Tiefs, von Prüfungen und Weckern, die nachts um zwei zur Frühschicht rufen, von Dienstplänen, Schweiß und Freudentränen.  

Die Junglokführer – der erste Tag

Sechs Junglokführer erscheinen zum Unterricht in der SBB-Cargo-Akademie

Die „Villa“ der SBB Cargo liegt paradiesisch: Direkt am Umschlagbahnhof Köln Eifeltor und mitten im Gleisfeld. Besser kann eine Güterbahn nicht residieren, erst recht nicht, wenn die hauseigene Akademie Umsteiger für ihre Lokomotiven gewinnen will. Und da sitzen sie auch schon, die sechs Lokführeranwärter an ihrem ersten Schultag. André Kleinbölting ist einer von ihnen, und er hat den Kuli schon gezückt, als der Ausbilder die Papiere zu ihm rüberschiebt: Ausbildungsvertrag, Übernahmegarantie, Personalbogen, Bahncard 100 für die Fahrten zu den Einsatzorten. Kleinbölting liest, füllt aus und unterschreibt, alles in einem Zug, ohne zu überlegen. Wie ein Mann, der weiß, was er will.

Akademie-Chef Matthias Birnbaum begrüßt die Neulinge und sammelt dann die Formulare ein. Einer hat vergessen, seinen Namen einzutragen. „Wie Sie heißen. Bitte hier eintragen.“ Einer anderer hat das Feld „Tätigkeit“ leergelassen. „Schreiben Sie da rein, welchen Job Sie machen.“

„Lokführerschule.“

„Natürlich den davor.“

„Arbeitslos.“

„Dann schreiben Sie das hin.“

Die Papiere von Andre Kleinbölting sind komplett und fehlerfrei. Birnbaum nickt zufrieden und lässt die Vorstellungsrunde beginnen. Kleinbölting, der sehr aufrecht und fast feierlich an seinem Resopaltisch sitzt, ist mit 43 Jahren der älteste in der Runde. Seine Mitschüler sind alle in den Zwanzigern. Die vertraute Klassenraum-Lümmelhaltung nehmen ihre Körper ganz von selbst wieder ein.

Folge 1 - Plötzlich Lokführer - 1
André und Matthes (am Kopfende des Tisches) sitzen kerzengerade. Beide wissen, was sie wollen: Den Lokführerschein.

„Ich war Vertriebler. Das war nicht so meins.“

„Anlagetechniker. Hat mir nicht gefallen.“

„Lagerarbeiter. Nix für immer.“

„Nach der Schule irgendwie den Faden verloren. Das ist meine erste Ausbildung.“

Kleinböltings Geschichte ist ein wenig länger. Er schaut zurück auf mehr als 20 Jahre Berufserfahrung im Führerhaus eines Lkw und musste zäh kämpfen, damit er heute hier sein durfte: Mit sich selbst, mit seiner Frau, mit dem Arbeitsamt. Denn allen musste er klarmachen, warum er in der Mitte seines Lebens plötzlich Lokführer werden wollte. „Das war schon als Kind mein Traum. Und dafür muss jetzt endlich Zeit sein.“

Die Fenster des Schulungsraums stehen offen. Links und rechts donnern Güterzüge vorbei. Zwei Ausbilder verteilen Pakete mit der „Persönlichen Schutzausrüstung“ – festen Schuhen, orangefarbener Sicherheitsweste und Helm. Danach steht die Sicherheitsunterweisung auf dem Stundenplan. „Aber vorher“, sagt Chefausbilder Jan Bölk, „steigen wir mal schnell auf die Lok. Die parkt hier gleich vor dem Haus.“ Die künftigen Lokführer schauen sich einen Moment lang an: Wow. Das ist ein guter Tag.

 

Bildergalerie: Die Junglokführer – der erste Tag

 

Plötzlich Lokführer: Das erste Interview

André Kleinbölting: Ex-Lkw-Fahrer und nun Lokführer-Lehrling
Wechsel in der Mitte des Lebens: André Kleinbölting will nicht mehr Lkw fahren. Für seine Umschulung zum Lokführer hat er Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt.

Herr Kleinbölting, warum wollen Sie nicht mehr Lkw fahren?

Nach der Realschule war ich bei der Bundeswehr. Weil ich den passenden Führerschein hatte, hieß es: Du bist eingeteilt. Und danach bin ich am Lkw hängengeblieben. Ein Freund sagte: „Fahr mal n’Tag mit.“ Zuerst dachte ich: Cool, mit dem Riesending durch die Gegend fahren, aber nach drei Jahren wusste ich: Das ist nicht das Wahre. 

Was war so schlimm?

Man gibt jeden Tag Gas, holt die Kohlen aus dem Feuer, ist der Handlanger, wuchtet fünf Meter lange Doppel-T-Träger auf die Ladefläche und zum Schichtende kommt garantiert der Anruf vom Chef: „Du bist doch gerade da und da. Um die Ecke ist was einzuladen.“ Du wirst ausgequetscht bis zur letzten Minute. Und dann heißt es: „Lad‘ mal bisschen mehr als erlaubt. Du hast doch das stärkste Auto.“ Oder am Wochenende: „Überraschung: Morgen gibt’s eine Zwei-Tagestour. Du musst leider im Lkw schlafen.“ Und wenn man nach der Bezahlung fragt, sagt der: „Wenn du zu Hause im Bett liegst, zahl ich dir das auch nicht.“ Das sind die Sprüche, die ich als Lokführer garantiert nicht mehr hören werde.

Lokführer sind Mangelware und heiß begehrt. War der Wechsel für Sie leicht?

Nein, ganz schwer. Sonst hätte ich auch nicht so lange dafür gebraucht. Ich hatte mehrfach Angebote, etwa als Dispo Triebfahrzeugführer anzufangen. Aber mein Arbeitsvermittler hat sich geweigert, mir einen Bildungsgutschein für die Umschulung zu geben.

Warum?

Er meinte: „Es werden dringend Lkw-Fahrer gesucht. Da finden Sie was. Und von einem Mangelberuf in den anderen Mangelberuf wechseln, da helfe ich Ihnen nicht.“

Das bedeutet, die Quereinsteiger müssen möglichst hoffnungslose Fälle sein?

Einer, der sein ganzes Leben rumhängt und am Güterwagen zuerst guckt, ob genug Luft im Rad ist, der hat mehr Chancen auf einen Bildungsgutschein, als jemand, der sich aus Interesse verändern will.

Aber Sie haben es doch geschafft.

Weil ich es unbedingt wollte. Aber es war ganz knapp. Im Internet bin ich auf die Jobbörse „SchienenJobs“ gestoßen. Hier sieht man alle Lokführer-Akademien auf einen Blick. Und die SBB-Cargo hatte eine Idee, wie sie mich in das Programm aufnehmen konnte.

Sind Sie denn sicher, dass Sie mit Lokführer richtigliegen?

Als Kind habe ich schon gewusst, dass ich Lokführer werden will. Ich habe immer die schönsten Phantasiezüge zusammengebaut. Und jetzt ist mein Sohn gerade ein Jahr alt. Ich habe gemerkt, dass ich ihm nicht sagen will: „Dein Papa fährt Lastwagen.“ Ich will ihm sagen: „Dein Papa arbeitet für die Eisenbahn.“

Und heute…

Heute ist es Wirklichkeit geworden.  

 

Text und Interview: Barbara Mauersberg

Fotos: Michael Claushallmann

 

Weitere Infos:

Interview mit Matthias Birnbaum, Chef der RT&S Lokführer-Akademie

 

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