„Wir brauchen Leute, die was bewegen wollen!“ – Matthias Birnbaum, Chef der RT&S Lokführer-Akademie im Interview

 

Lokführer werden händeringend gesucht, nicht nur in Deutschland. Mit einer eigenen Ausbildungs- und Personaldienstleistungsgesellschaft will die SBB Cargo International offensiv für den zukunftssicheren Beruf werben und verspricht eine hervorragende Ausbildung mit Übernahmegarantie. Chef der Lokführer-Akademie ist der bisherige Geschäftsführer der SBB Deutschland GmbH, Matthias Birnbaum. Im Interview mit der Allianz pro Schiene spricht der Güterbahnchef über das schlechte Image des Berufs und wie er trotzdem in den nächsten Jahren an die 200 neue Lokführer ausbilden will.

Allianz pro Schiene: Herr Birnbaum, warum gibt es bei uns zu wenig Lokführer? Der Arbeitsplatz ist doch sicher und auch die Bezahlung ist besser, als in anderen Branchen.

Matthias Birnbaum: Ich sag es mal ganz deutlich: Als Lokführer bei einer Güterbahn arbeiten Sie in unregelmäßigen Schichten. Das ist bei der heutigen Generation nicht der Brüller. Das Arbeitszeitmodell hat eher ein gewisses Abschreckungspotential, dem man mit intelligenten Ansätzen begegnen muss. Die Ansprüche an den Beruf haben sich verändert, das stellen wir bei Gesprächen regelmäßig fest. Während früher das Geldverdienen im Vordergrund stand, denkt man heute zunehmend an die Work-Life-Balance. Der Wettbewerb um den Nachwuchs ist sehr hart und das Jobangebot groß. Im Vergleich zum unregelmäßigen Schichtdienst haben andere Branchen einfach bessere Konditionen bei der Arbeitszeit als die Güterbahn.

Wie groß ist denn der Notstand tatsächlich?

Bei der SBB Deutschland GmbH versuchen wir unseren Bedarf zu 80 Prozent mit eigenen Lokführern zu decken. Die anderen 20 Prozent holen wir uns vom Markt, zum Beispiel für Schwankungsreserven oder für Fahrten, die außerhalb unserer üblichen Relationen liegen. Das ist unsere Zielvorstellung. Aktuell sind wir bei einem 50-50-Verhältnis. Obwohl wir seit 2008 auch selbst ausbilden, ist es uns bisher nicht gelungen, unseren Personalbestand annähernd Richtung 80 Prozent aufzustocken. Daran müssen wir arbeiten.

Deshalb haben Sie nun die Lokführer-Akademie gegründet.

Genau. Die Lokführer-Akademie hat zwei Geschäftsziele: Zum einen wollen wir interessierte Menschen rekrutieren und bestmöglich zum Lokführer ausbilden. Und wir suchen nicht länger nur in Deutschland, sondern nehmen auch Europa in den Blick. Erste Erfahrungen haben wir in Spanien gesammelt, aktuell konzentrieren wir uns auf Italien. Das zweite Geschäftsfeld ist die Bereitstellung von Eisenbahnbetriebspersonal für den Markt. Vordergründig selbstverständlich für die SBB Cargo International in Deutschland aber mit einem längeren Blick auch in der Schweiz. Allerdings werden wir die Lokführer-Akademie auch zu einem klassischen Personaldienstleister entwickeln. Unsere Mitarbeiter können also auch für unsere Wettbewerber fahren. Auf mittlere Sicht wollen wir in fünf bis sieben Jahren einen Pool von 150 bis 200 aktiven richtig gut ausgebildeten Lokführern aufbauen.

Bewege was! Ausbildung bei SBB Cargo International

Allianz pro Schiene: Können Sie uns etwas über die Ausbildung erzählen?

Matthias Birnbaum: Wir starten unsere Ausbildungsoffensive an unseren Standorten in Köln und Mannheim, das Ganze dauert in etwa ein Jahr. Während dieser Zeit bieten wir unseren Auszubildenden eine Unterkunft an. Das ist vor allem für unsere ausländischen Kollegen wichtig, die müssen hier ja erst mal Fuß fassen. Natürlich müssen wir jungen Menschen auch etwas bieten, damit sie ihre Heimat verlassen und ihren Lebensmittelpunkt nach Deutschland verlagern. Die Ausbildung selbst umfasst einen theoretischen und einen praktischen Teil, in denen die allgemeinen sowie die Infrastruktur- und Fahrzeugkenntnisse vermittelt werden. Das Fahrzeugtraining findet ganz klassisch an der Drehstrom E-Lok statt. Alle, die des Deutschen nicht mächtig sind, erhalten von uns zudem eine Sprachausbildung. Los geht es allerdings erst im nächsten Jahr, denn wir warten noch auf die Anerkennung durch das Eisenbahn-Bundesamt.

An wen richtet sich die Lokführer-Akademie und Ihre Ausbildungsoffensive?

Vorwiegend sind wir auf die Erwachsenenqualifizierung ausgerichtet. Natürlich bilden wir auch Schulabsolventen aus. Goldrichtig bei uns sind Sie, wenn Sie technisch interessiert sind und sich darauf freuen, 2.000 Tonnen und mehr zu bewegen. Um schnell in den Beruf zu kommen, ist die einjährige Fachausbildung am besten geeignet. Dazu gibt es von uns eine Übernahmegarantie. Haben Sie die Lokführer-Akademie erfolgreich abgeschlossen bieten wir ihnen nahtlos einen sicheren Job an. Generell gilt: Jeder, der am Beruf des Lokführers interessiert ist, ist bei uns willkommen. Für Informationen über den Job, die Ausbildung bei der SBB und alles weitere haben wir eigens eine Internetseite eingerichtet: http://www.bewege-was.com

Möchten Sie auch Frauen ansprechen? Wir haben ja ein Frauennetzwerk für die Branche gegründet. Vielleicht möchten Sie daran teilnehmen?

Bei uns arbeiten auch Lokführerinnen, die haben wir auch selbst ausgebildet. Viele weibliche Kollegen haben gerade bei der Ausbildung einen bravourösen Auftritt gehabt. Allerdings arbeiten sie im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen meist nicht sehr lange bei uns. Nach einer gewissen Zeit lässt sich offenbar die Familienplanung nur schwer mit den Anforderungen des Jobs in Einklang bringen und dann verlassen sie uns wieder. Ich finde das sehr schade, aber so sieht die Realität aus.

Näher am Leben: Alternatives Arbeitszeitenmodell für Lokführer

Allianz pro Schiene: Wie Sie eingangs festgestellt haben: Das Arbeitszeitenmodell bei den Güterbahnen schreckt viele Interessierte ab. Haben Sie dafür eine Lösung?

Matthias Birnbaum: Es gibt zwei Wege, wie wir versuchen wollen, mit den Einschränkungen des Schichtdienstes professionell umzugehen. Zum einen bieten wir unseren Kollegen an, die Arbeitszeiten zu „verblocken“ und anschließend längere, zusammenhängende Freizeit zu haben. Konkret heißt das: Sie arbeiten bis zu zehn Schichten hintereinander und haben dafür im Anschluss vier bis fünf Tage frei, an denen sie auch nicht gestört werden sollen. So können sie zuverlässig planen.

Der zweite Punkt: Die Ansprüche an das Arbeitsleben ändern sich ja je nach Lebensphase. Wenn Sie jung sind und Geld verdienen möchten, können Sie das bei uns tun. In der Phase der Familiengründung helfen wir Ihnen dann einen Job zu finden, bei dem die Arbeitszeiten familienfreundlicher sind, zum Beispiel im Schienenpersonenverkehr. Mit Mitte 40 ändern sich bei vielen Menschen die Lebensumstände und sie haben das Bedürfnis wieder intensiv zu arbeiten oder etwas Neues anzufangen. Denen machen wir die Tür weit auf, da kann man bei uns noch mal ordentlich Geld verdienen.

Was muss noch getan werden, um mehr Menschen für den Beruf zu begeistern?

Wir müssen das Image des Lokführers verbessern. Ein Beispiel: In den nächsten zehn Jahren werden viele Lokführer in den Ruhestand gehen, insbesondere auch bei der Deutschen Bahn. Allein um die Abgänge zu besetzen braucht es ein riesiges Potential an Nachwuchs. Dazu kommt noch das steigende Verkehrsaufkommen. Da brauchen wir noch mehr Leute. In der Eisenbahnbranche haben Lokführer über Jahrzehnte einen sicheren Job – das wissen bloß viele nicht. Daran werden auch einige autonome Züge nichts ändern.

Selbstfahrende Züge sind keine Konkurrenz zum klassischen Lokführer?

Nein. Es macht einen Unterschied, ob sie eine Flughafen-Bahn von einem Terminal zum anderen fahren lassen oder einen Güterzug durch Deutschland steuern. Das System Eisenbahn ist so komplex, für einen selbstfahrenden Güterzug fehlt mir da die Fantasie. Auch der finanzielle Aufwand wird sich nicht rechnen. Wenn wir die Bahn von Kosten entlasten wollen -und das ist dringend geboten-, dann gibt es einige andere und größere Hebel. Längere Güterzüge, gerne auch 1.000 Meter lang, die Senkung der Trassenpreise oder auch die Anpassung der EEG-Umlage, um nur einige offensichtlichere Punkte zu nennen.

Wir fahren Güterzüge über relativ lange Strecken. Der Lokführer ist immer noch der einzige Mensch und Techniker an Bord. Da bin ich sogar froh, dass da vorne einer drauf ist, der Sachverstand hat und verlässlich handeln kann, sollte es eine Störung geben. Eben einer, bei dem die 2.000 Tonnen und mehr in guten Händen sind. Soll sich die LKW-Branche da ruhig verrennen, wir sind da klüger.

Allianz pro Schiene: Herr Birnbaum, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Christopher Harms