Gold: Hartmut Dreßler

Das schreibt der Einsender:

Philipp Reske fährt am 5. Oktober 2017 mit dem ICE. Wegen des Orkans Xavier bleibt sein ICE zunächst stundenlang am Bahnhof Ludwigslust stehen. Irgendwann fällt die Stromversorgung aus, und die Fahrgäste verbringen weitere sechs Stunden in einem dunklen, auskühlenden Zug. Einziger Lichtblick ist Hartmut Dreßler, „der beste Zugchef ever!“, schreibt der Einsender. Sein Eisenbahner hat zu jeder Zeit gute Laune. Als klar ist, dass es gar nicht mehr weiter geht, quartiert er alle Fahrgäste mit Hilfe des Katastrophenschutzes, der Feuerwehr und des Deutschen Roten Kreuzes in einer Sporthalle ein, sorgt für Feldbetten, Gulaschsuppe und Bohneneintopf. Dreßler schläft die ganze Nacht nicht, und doch hat er am nächsten Morgen eine gute Nachricht für seine nicht-mehr-Zuggäste: es kommen Busse, die nach Hamburg und zurück nach Berlin fahren. Zuvor aber solle jeder noch ein Brötchen essen. Reske schreibt bewundernd: „Hartmut Dreßler hat immer noch Späße gemacht, obwohl er so etwas in 40 Dienstjahren nicht erlebt hat.“

Philip Reske (Buxtehude)

 

Das sagt die Jury:

Der Mitarbeiter von DB Fernverkehr Berlin „ist mit Herzblut für seine Fahrgäste dagewesen“, urteilte die Jury. „Durch seine Fürsorglichkeit hat er ein Katastrophenszenario in ein unvergessliches Gemeinschaftserlebnis verwandelt, während sich das restliche Bordpersonal bereits abgesetzt hatte.“

„Es kann nicht immer die Sonne scheinen“

ICE-Zugchef Hartmut Dreßler über Tränen nach dem Orkan und Deutschlands Wiedervereinigung auf der Schiene

 

Herr Dreßler, muss erst ein Orkan kommen, damit sich die Menschen näher kommen?

Normalerweise nehme ich meine Fahrgäste nicht zum Kuscheln in den Arm, aber nachdem wir gemeinsam einen Tag in dem ausgekühlten Zug verbracht haben und dann noch eine Nacht in der Turnhalle, da sind mir beim Abschied schon die Tränen gekommen. So schön war das. Fast familiär.

 

Sie sind erst ganz zum Schluss in den Bus nach Berlin gestiegen. Wie der berühmte Kapitän, der als letzter von Bord geht.

Aber vorher habe ich noch gesagt: Ohne Frühstück fährt hier keiner weg. Und so war’s dann auch.

 

Wie schlimm war denn der Orkan?

Als unser Zug in Ludwigslust gestrandet ist, stand ganz in der Nähe ein Baum an der Strecke. Nachher stand der nicht mehr da. Natürlich kann nicht immer die Sonne scheinen, aber so ein Unwetter habe ich in 40 Dienstjahren nicht erlebt.

 

40 Dienstjahre? Dann waren Sie ja schon von Anfang an bei der Bahn.

Die Eisenbahn war meins. Ich wollte immer reisen und habe als Kind unter der Bettdecke mit der Taschenlampe Reisemagazine gelesen. Dabei habe ich mir dann die Augen verdorben, was doof war. Denn mit Brille konnte man in der DDR nicht Lokführer werden. Also lernte ich Zugbegleiter.

 

Aber mit der Reiselust war das in der DDR ja nicht so leicht.

Stimmt, wir hatten diesen Gartenzaun, aber ich habe sofort ein Auge auf den internationalen Verkehr geworfen. Da fuhr der D-Zug Berlin – Warschau. Und dann bekam ich das Angebot, im Transitverkehr in den Westen zu fahren.

 

Wie viele Ihrer Kollegen hatten so eine Erlaubnis?

Wir waren etwa 30 Reichsbahner, die fahren durften. Wir sind auch über Nacht im Westen geblieben und haben regelmäßig gemütlich mit den Bundesbahnern geschnattert. Manche von den Kollegen sind auch heute noch im Dienst.

 

Was dachten Sie über den Westen?

Es gab dort viel mehr Bananen, und endlich konnte ich mir jede Menge Bahnhöfe ansehen. Aber im Ernst: Es ist ein großes Glück, dass wir den Mauerfall erlebt haben. Ich werde nie vergessen, wie voll die Züge nach Westberlin waren: Wir hatten so viele Fahrgäste, dass wir fast auf dem Drehgestell gefahren sind. Mehr als Tempo 40 war da nicht drin.

 

Jetzt sind Sie Eisenbahner mit Herz. Was kann danach noch kommen?

Nix mehr. Jetzt kommt nur noch die Rente. Und dann werde ich … raten Sie mal?

 

Verreisen und Bahnhöfe ansehen.

Ganz genau.