Gold: Lena-Sophia Nobbe

Goldmedaille für Lena-Sophia Nobbe

Umgestiegen auf Zugbegleiterin

Lena-Sophia Nobbe (46) hat in ihrem Berufsleben schon viele Stationen gemeistert. Die gelernte Friseurin aus Castrop-Rauxel mit türkischen Wurzeln arbeitete an der Kasse eines Baumarkts und bei McDonald’s, bevor sie sich bei Abellio bewarb. Es war Liebe auf den ersten Blick, und das Jobangebot aus Hagen kam prompt. Dass sie mit dem neuen Arbeitsplatz auch gleich die Eisenbahn für sich entdeckte, freut die erklärte Autofahrerin besonders. Ihr Mann ist ihr darin gefolgt: Seit zwei Jahren ist er Lokführer im Güterverkehr. Lena-Sophia Nobbe fühlt sich trotzdem als Pionierin: „Ich bin die erste Eisenbahnerin in der Familie.“ Und die Beste.

Die Würdigung der Jury

Moralisches Stoppschild gegen Rassismus

Es ist sicher nicht die Aufgabe von Zugbegleitern, die eigenen Fahrgäste zu erziehen. Umso intelligenter die Reaktion von Lena-Sophia Nobbe. Ohne den Kunden vor den Kopf zu stoßen, hat sie ihm ein moralisches Stoppschild gesetzt. Dass der Einsender selbst nicht wusste, wie er damit umgehen sollte, zeigt die alltägliche Dimension der deutschen „Flüchtlingskrise“. Die Reaktion der Abellio-Mitarbeiterin steht dafür, dass jeder Mensch in unseren Zügen einen guten Platz findet. Die Jury meint: Gold für ein nachahmenswürdiges Verhalten.

Das Interview

„Da hat er sich selber bloßgestellt“

Frau Nobbe, gehen Sie immer so freundlich mit Rassisten um?
Privat wäre mir das nicht gelungen. Rassismus regt mich schrecklich auf. Mein Vater ist Türke, und ich fühle mich von solchen miesen Sprüchen persönlich angegriffen. Allerdings kann ich im Job nicht so reden, wie ich will. Den Fahrgast stellt man nicht bloß. Im Fall dieser syrischen Familie hat der Mann das außerdem schon selber erledigt.
 
Im Internet kursiert ein Video mit einer ähnlichen Szene: Eine Stewardess setzt einen Schwarzen, der schrecklich beschimpft wird, in die Business Class. Kannten Sie den Film?
Ja, und das war für mich auch eine Art Regieanweisung. Natürlich hätte ich nicht gedacht, dass ich mal in diese Lage kommen würde. Aber so wusste ich gleich, was zu tun war: Ich habe den Pöbler beim Wort genommen. Auch während der weiteren Fahrt habe ich alle Ausländer, die sich in seine Nähe setzen wollten, in die erste Klasse gebeten. So voll war es da noch nie. Ich habe gesagt: „Der Herr hier möchte seine Ruhe haben.“
 
Treffen Sie jetzt häufiger Flüchtlinge in Ihren Zügen?
Das spielt im Alltag schon eine Rolle. Erst vor kurzem hat mich ein Junkie angerempelt. Da kamen zwei Flüchtlinge dazu und fragten, ob ich Hilfe brauche. Oder ich hatte eine Gruppe von Marokkanern im Zug. Als ich die Fahrkarten sehen wollte, grinsten sie frech und sagten „Asyl“.
 
Waren die Fahrgäste dabei auch so schweigsam?
Nein, da gab es einen größeren Auflauf. Die einen meinten, das seien doch „arme Jungs“, ich solle die in Ruhe lassen. Andere sagten, ich sei eine „blöde Tussi“ und solle hart durchgreifen.
 
Der Ton unterwegs wird offenbar rauher?
Das kann ich auf jeden Fall beobachten. Und wenn es gar nicht anders geht, setze ich die Leute auch vor die Tür. Nicht jeder Fahrgast ist freundlich, das muss man wissen in meinem Job.
 
Was wäre denn Ihr Traumberuf gewesen?
Eigentlich wollte ich Psychologin werden.
 
Ein wenig klingen Ihren Erfahrungen doch auch jetzt schon nach praktischer Psychologie.
Oh ja. Für meine Fahrgäste bin ich Seelsorgerin und Mutti. Das war auch bei der syrischen Familie so, die ich aus dieser üblen Situation befreit habe. Sie nahmen später immer wieder meine Hand und nannten mich „Mama“.
 
Was bedeutet Ihnen der Titel „Eisenbahnerin mit Herz“?
Ein großes Glück, das ich noch nicht so ganz fassen kann. Aber eins weiß ich schon jetzt: Ich werde zum ersten Mal im Leben nach Berlin kommen.
 

Die Nominierung

„Sie bewies Zivilcourage“

„Eine sehr schöne Geschichte gegen Rassismus. Wir waren gerade in Siegen Richtung Essen losgefahren, als ein älterer Herr lautstark nach der Schaffnerin rief, und sich in Folge über eine Flüchtlingsfamilie ausließ, die in einer Sitzgruppe saß. Er fühle sich diskriminiert, wenn dieses „Pack“ hier sitzen dürfe und er müsse neben ihnen sitzen. Ich fand das total schlimm, hatte aber den Eindruck, mit dieser Meinung alleine zu sein. Die anderen Reisenden im gut gefüllten Zug schauten alle aus dem Fenster. Die Schaffnerin bewies Zivilcourage, als sie den Flüchtlingen, die ob des älteren Herrn schockiert und verängstigt reagierten, erklärte, dass solcherart Benehmen in Deutschland nicht normal sei, und dass es tatsächlich nicht zumutbar sei, neben solchen Leuten sitzen zu müssen. Dann platzierte sie die Familie in der ersten Klasse.“

Wolfram Alster (Frankfurt am Main)