Ernst Dast (62) hat in seinem Leben schon einige Stürme überstanden. Mitten im Daimler-Stammland arbeitete der gelernte Automechaniker in einem Autosalon in Filderstadt und fühlte sich unwohl. Als er hörte, dass Bürgerinitiaven auf der Strecke Böblingen – Dettenhausen die stillgelegte Schönbuchbahn wiederbeleben wollten, sattelte der gebürtige Schwabe um und wurde Lokführer. Seine Entscheidung hat er nie bereut. Heute sind die Chefs der Schönbuchbahn auf ihren Ernst besonders stolz. Schließlich schrieb Stammkunde Josef Nickel bis zum denkwürdigen Sturmeinsatz regelmäßig gefürchtete Briefe mit zahllosen Verbesserungsvorschlägen. So ein Lob zählt natürlich doppelt und dreifach.
Die Würdigung der Jury
Gold für einen wahrgewordenen Traum
Störungen im Betriebsablauf“, diese Durchsage kennen Bahnfahrer so gut, dass sie den Text schon im Schlaf mitsingen können. Und während so ein Reisender dann ohnmächtig im Zug sitzt und wartet, dass es endlich weitergeht, wird nicht selten ein Wunschtraum wach: Was, wenn das Zugpersonal die Sache selbst in die Hand nähme und den Zug wieder flott machte? Der Lokführer Ernst Dast hat diesen Traum wahr werden lassen. Und er hat dabei auch noch umsichtig alle Sicherheitsvorschriften eingehalten, die im komplizierten System Eisenbahn natürlich immer zu beachten sind. Er hat der Betriebsleitung Bescheid gesagt, die Fahrgäste zur Ruhe ermahnt, hat seinen Blaumann angezogen und die verkanteten Äste vom Gleis geräumt. Mit solchen Lokführern will man im Sturm unterwegs sein. Kein Wunder, dass der Einsender begeistert war. Wir sind es auch.“
Herr Dast, was zeichnet für Sie einen echten Schwaben aus? Wir können nicht so gut aus uns heraus. Mit dem Ausgelassensein ist es so eine Sache. Aber mein Vorname ist nicht Programm: Ernst, das trifft zum Glück nicht immer zu.
Wie gut erinnern Sie sich noch an die Orkannacht im Oktober 2014?
Es war schon ein ordentlicher Wind an diesem Abend. Vor dem neuen Einkaufszentrum in Böblingen flogen die Plastikstühle durch die Luft. Kurz vor der Haltestelle Heusteigstraße fuhr ich dann in eine schwarze Wand rein. Es waren keine Schienen mehr zu sehen, denn bei einem Baum hatte es einen Teilabriss gegeben. Ich habe dann sofort eine Notbremsung eingeleitet.
Wollten die Fahrgäste nicht helfen?
Doch, einige wollten sofort mit raus. Aber wir standen an einem Bahngraben. Das war zu gefährlich. Ich habe zuerst der Zugleitung Bescheid gesagt, die haben die Feuerwehr gerufen. Leider hatte die an dem Abend viel zu tun. Also schärfte ich den Fahrgästen ein, sitzen zu bleiben, habe meinen Blaumann übergezogen und bin raus, um sehen, was da los war.
Und da lag ein ganzer Baum auf der Strecke.
Das hätte für ein Jahr Kaminholz gereicht. Das Problem war aber, dass das Holz sich unter den Rädern verkantet hatte. So einfach war das nicht wegzukriegen. Also habe ich den Zug zwei Mal vor- und wieder zurückgesetzt und immer neue Äste freigelegt, die ich dann rauszerren konnte.
Hatten Sie nicht zufällig eine Kettensäge in der Tasche?
Sie werden lachen: Als die Schönbuchbahn 1996 gerade wieder reaktiviert worden war, sind wir tatsächlich mit Kettensägen unterwegs gewesen. Ich war auch schon mit dabei, als die Bürger hier vor Ort die Gleise vom Gestrüpp befreit haben, damit das Bähnle wieder fahren kann. Das ist hier eine ländliche Gegend. Hier steht viel Wald an der Strecke.
Also trainieren Sie seit zwanzig Jahren für den heutigen Titel?
So kann man das sehen. Allerdings bin ich trotzdem ein wenig überrascht, dass ich mit so einem Einsatz gewonnen habe. Schließlich wollten nicht nur die Fahrgäste nach Hause. Ich wollte ja selber weiterfahren. Umso mehr freut mich so ein Lob.
Als Fahrgast fühlt man sich eben oft ohnmächtig. Schließlich sitzt ein anderer im Führerhaus.
Für mich sind die Fahrgäste vor allem wissensdurstig. Leider kann ich manchmal nicht selber die Ärmel hochkrempeln, aber dann sorge ich wenigstens für Information. Das ist oft schon sehr viel wert.
Was gefällt Ihnen am besten an Ihrem Job?
Hier auf der Schönbuchbahn sind wir mitten in der Natur: Da gibt es Wildschweinrotten an der Strecke, ich fahre in den schönsten Sonnenaufgang hinein oder sehe wunderbar glitzernde Winterlandschaften. Mit 20 hätte ich das gar nicht bemerkt. In meinem Alter schärft sich der Blick.
Die Nominierung
„Höchstes Lob für tollen Einsatz“
„Überragender persönlicher Einsatz des Zugführers auf der Fahrt mit der Schönbuchbahn (WEG) von Böblingen nach Dettenhausen am stürmischen Abend 21.10.14. Zwischen den Haltestellen Böblingen Süd und Heusteigstraße stieß der Regioshuttle mit herabstürzenden Ästen zusammen. Es gab eine Notbremsung, bei der zwar niemand verletzt wurde, allerdings das Fahrzeug beschädigt wurde und zunächst nicht weiterfahren konnte. Sofort machte sich der Fahrer an die Aufräumarbeiten. Nach etwa 45 Minuten konnte die Bahn ihre Fahrt fortsetzen und alle Fahrgäste kamen wohlbehalten zu Hause an. Für diesen tollen Einsatz verdient der Fahrer höchstes Lob.“