Silber: Claudia Möller

Eisenbahner mit Herz – Silbermedaille

Verpasstes Weihnachtsfest

24.12.2010, Interconnex Berlin – Rostock: Auf der Fahrt am Heiligabend geht alles schief, was schief gehen kann.

Die Zugbegleiterin Claudia Möller rettet den Abend, obwohl die Fahrgäste im Zug mit Frust und Enttäuschung zu kämpfen haben. Als der Zug mit mehr als sechs Stunden Verspätung ins Ziel kommt, hat sie selbst ihr Weihnachtsfest verpasst.

Das Porträt

Auf Katastrophenfahrt

„Also wenn Frau Möller nicht Eisenbahnerin mit Herz wird, dann weiß ich auch nicht“, hatte die Bahnkundin an die Allianz pro Schiene geschrieben. Die Gründe überzeugten die Jury: Erst auf einer Katastrophenfahrt zeigt ein guter Zugbegleiter, was wirklich in ihm steckt.

In Claudia Möller steckt jedenfalls eine Menge: Einen proppenvollen Zug mit über sechs Stunden Verspätung heil durch den Heiligen Abend zu bringen, das schafft nicht jeder. Aber auch an normalen Diensttagen führt die 30-jährige ihren Interconnex auf der Stammstrecke Leipzig – Warnemünde mit großer Gelassenheit und Umsicht.

Größere Missgeschicke oder Abenteuer sind der jungen Frau in ihren rund 10 Dienstjahren noch nicht begegnet, aber sie würde sich auch einer Geburt unterwegs gewachsen fühlen. „Zur Not wählen wir die 110.“ Nach einer Ausbildung bei der Deutschen Bahn kam Claudia Möller zur Ostseelandverkehr, die sie liebevoll „Ola“ nennt. Ihre Arbeit für den Bahn-Konkurrenten Veolia mag die geborene Rostockerin sehr: „Wir fahren immer im Team, mit mindestens zwei Zugbegleitern.“ Dass die Kunden Personal in den Zügen zu schätzen wissen, weiß Claudia Möller natürlich. Schließlich ist sie eine Eisenbahnerin mit Herz.

„Vereister Fahrdraht und dann ging nix mehr“

Claudia Möller über eine weihnachtliche Katastrophenfahrt, verständnisvolle Fahrgäste und eine Persönlichkeit, die zählt.

Frau Möller, Sie sind Eisenbahnerin mit Herz geworden, weil Sie auf einer Katastrophenfahrt im Winter Ihr ganzes Können gezeigt haben. Was geschah an Heilig Abend im Interconnex Berlin Rostock?

Es war supervoll. Die Fahrgäste stapelten sich bis unters Dach. Wir hatten alles vertreten: Babys, Kinder, alte Leute, junge Leute, Hunde. Vor Neustrelitz ging es los. Der Zug stand und konnte ich nicht weiterfahren, weil der Bahnhof voll vor. Ich dachte: eineinhalb Stunden Verspätung, das geht ja noch. Aber nach Neustrelitz standen wir wieder, diesmal im Wald. Und es ging gar nichts mehr. Da dachte ich: Mist, hoffentlich bleiben die Leute ruhig und springen nicht ab. Aber die waren erstaunlich gut drauf. Wahrscheinlich, weil Weihnachten war.

Wo klemmte es bei dieser Fahrt?
Der Fahrdraht war vereist und wir mussten auf eine Diesellok warten, die uns da rauszog. Das hat schon mal zweieinhalb drei Stunden gedauert. Inzwischen habe ich versucht, die Fahrgäste bei Laune zu halten. In so einer Situation kann ja sonst was passieren. Wenn die Leute raus wollen, wollen die raus. Dann steigen die auf offener Strecke aus und du kriegst sie nicht mehr gehalten. Damit das nicht passiert, haben wir häufig Ansagen gemacht. Sofort wenn neue Nachrichten kamen, haben wir per Lautsprecher darüber informiert.

Was haben Sie sonst noch getan?
Nichts Besonderes in meinen Augen: Wir haben gratis Kaffee verteilt und den Leuten gesagt, dass sie es immerhin warm und trocken haben. Weil draußen nichts mehr ging, hatten wir auch Zeit für viele nette Gespräche. Es war wirklich erstaunlich, aber am Ende brachten uns die Fahrgäste sogar noch Geschenke und Obst. Schließlich kamen wir mit sechs einhalb Stunden Verspätung in Rostock an. Die Leute haben also ihr Weihnachtsfest verpasst.

Und Ihr eigenes Weihnachtsfest?
Das war auch kürzer als sonst. Ich kam spät nachts nach Hause, habe noch schnell Abendbrot gegessen und bin dann ins Bett gefallen. Es war schon anstrengend.

Sie können also den Ärger der Menschen über das Winterchaos verstehen?
Ja, natürlich kann ich es verstehen. Ich komme auch gern pünktlich nach Hause. Andererseits ist es auch nicht richtig, allen Ärger bei der Bahn abzulassen, nur weil so viel Schnee fällt. Autos, Flugzeuge oder Straßenbahnen hatten schließlich dieselben Probleme. Das ist eben höhere Gewalt. Ich wüsste aus dem Stand jetzt nicht, was man da besser machen könnte. Und der nächste Winter kommt bestimmt.

 Was denken Sie, wenn Sie das Lob der Kundin lesen: „Konfliktmanagement- und Deeskalationskompetenzen, Motivations-, Team- und Kritikfähigkeit und großes rhetorisches Potenzial – dazu eine attraktive Erscheinung, ein großes Herz und viel Humor – wenn Frau Möller nicht Eisenbahnerin mit Herz wird, dann weiß ich auch nicht.“
(lacht) Da habe ich mich natürlich gefreut. Besonders, weil es genau dieser schreckliche Tag war. Damit habe ich nicht gerechnet. Eher, dass es Beschwerden hagelt. Aber die Leute waren auch im Zug erstaunlich zufrieden mit uns. Denn was sollte ich schon groß tun? Ich kann ja nicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sagen: „Oh Gott, oh Gott.“ Ich sitze ja auch fest. Also ist es für mich ganz klar, dass ich alles tue, um die Stimmung im Zug zu retten.
 
Haben Sie dafür Rezepte gelernt?
Natürlich bekommen wir Schulungen, wie wir mit Stresssituationen umzugehen haben. Aber ich denke, das ist auch ein Feingefühl, das man mitbringt. Ich bin eher ein lockerer Mensch, der offen für alles ist. Persönlichkeit zählt. Ich bin auf dem Zug so, wie ich immer bin.
 
Welche Erlebnisse im Zug mögen Sie besonders?
Ich freue mich immer, wenn sich Reisende bei mir bedanken. Dass es eine schöne Fahrt war, dass man nett war, dass alles toll ist. So was freut mich wirklich. Schwierig wird es immer, wenn Menschen stürzen oder der Notarzt gerufen werden muss. Da ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und trotzdem das Richtige zu tun. Ein Baby ist in meiner Dienstzeit allerdings noch nicht geboren worden. Da würde ich wahrscheinlich auch erst mal die 110 wählen.
 
Interessieren sich Ihre Freunde für Ihren Beruf?
Ja, aber die fragen vor allem: „Fährst du so richtig mit Pfeife und Kelle? Musst du auch Fahrscheine kontrollieren und was sagen?“ Na klar, sage ich dann. „Das ganze Programm.“
 
Wollten Sie schon immer als Zugführerin zur Bahn?
Nein, das war Zufall. Eine Schulfreundin hatte einen Vater, der arbeitete als Rangierer im Seehafen. Der brachte eines Tages Prospekte mit und sagte, wir sollten uns doch bewerben: Als Eisenbahner im Betriebsdienst oder Kundenbetreuer. Wir sagten: „Ja, gut, machen wir.“ Ich selbst war nämlich eigentlich orientierungslos. Aber mit der Ausbildung bei der Deutschen Bahn klappte es sofort und danach ging ich dann zur Ola. Inzwischen bin ich zehn Jahre im Dienst und habe es nicht bereut.
 
Jetzt sind Sie „Eisenbahnerin mit Herz“. Eine Überraschung?
Ja. Zuerst dachte ich: „Was? Ich habe gewonnen? Aber ich habe mich doch gar nicht beworben.“ Inzwischen freut es mich. Wenn die Fahrgäste die eigene Leistung so anerkennen, da kann man wirklich stolz drauf sein.

Die Einsendung der Kundin

Eine schöne Bescherung

Im Interconnex 68903 am 24. Dezember ging auf der Strecke von Berlin nach Rostock eigentlich alles schief, was schiefgehen konnte.

Kurz vor Neustrelitz ging es zum ersten Mal nicht weiter wegen vereister Oberleitungen. Etwa 2 Stunden stand der Zug im Wald, die Snacks waren schnell ausverkauft. Die Freude war groß, als es dann endlich weiter ging: Man würde sich zwar verspäten, zu Heilig Abend wären aber alle pünktlich zur Bescherung zu Hause. Diese Freude würde jäh zerstört, als der Zug nach nur 20 Minuten Fahrt erneut stehen blieb: Nun war die Lok kaputt und es musste eine neue aus Rostock hergeschafft werden. Wartezeit unbekannt. Man stand erneut im Wald, kein Mobiltelefonnetz, die Angehörigen, die an diversen Bahnhöfen standen, um Reisende abzuholen, konnte nicht verständigt werden. Frust und Enttäuschung schlugen um sich. Viele Fahrgäste wurden langsam ungehalten. In dieser Situation war es die Fahrgastbetreuerin Frau Möller, die bei ihren Sprints durch die Gänge – trotz des Stresses, der ihr deutlich anzusehen war – immer ein Lächeln und ein freundliches Wort für die Reisenden übrig hatte, und auch auf Anfeindungen hin nie ausfällig wurde. Dass Frau Möller an diesem katastrophalen Abend – man kam schließlich 6,5 Stunden zu spät ins Ziel – so freundlich und verständnisvoll blieb, obwohl sie selbst das Weihnachtsfest zu Hause verpasste, macht sie zu meiner „Eisenbahnerin mit Herz“.

Frau Möller hat die Reisenden regelmäßig mit ihrem feinsten breiten Norddeutsch über Lautsprecherdurchsagen erfreut. Egal, ob es wirklich „Neuigkeiten“ gab oder nicht, sie hat regelmäßig von sich hören lassen und immer wieder um Entschuldigung gebeten. Zum Beispiel als die neue Lok angeschlossen wurde „Sehr geehrte Damen und Herren, jetzt kommt gleich die neue Lok, bitte nicht erschrecken, wenn es gleich rummst“ …“…Achtung, es rummst jetzt!“. Das Gelächter im Abteil ob Frau Möllers unkonventionellen Durchsagen war jeweils groß und trug zur Auflockerung der angespannten Situation bei.

Zu Beginn der Reise, kurz nach dem ersten Stopp, hatte ich in dem überfüllten Zug einen Klappsitzplatz vor den Toiletten, die Schlange davor war durchgehend endlos. Frau Möller reihte sich ein und schnackte gut gelaunt mit den Gästen. Sie habe die ganze Zeit gehofft, dass heute nichts passieren würde, und dann so was! Dabei wolle sie doch auch dringend nach Hause, Weihnachten feiern! Mit ihrer sympathischen Art konnte ihr einfach niemand böse sein. Bei einer anderen Kollegin habe ich – dies nur zum Vergleich, ohne anklagen zu wollen, schließlich war es nur zu verständlich, dass die Nerven bei allen blank lagen – miterlebt, wie diese den Gästen vorwarf „warum sie denn überhaupt den Connex gewählt hätten, wenn sie doch alles vorher wüssten“ – diese hatten sich über die schlechte Organisation und Vorbereitung beschwert. Dergleichen habe ich von Frau Möller nie vernommen, sie hat bei allen Fragen viel Verständnis gezeigt und immer versucht, auch die technischen Aspekte der Ausfälle verständlich zu erklären.

Insgesamt habe ich Frau Möller als natürlich sympathische Hanseatin in Erinnerung, der ihre Arbeit als Zugbegleiterin ganz offensichtlich große Freude bereitet und die so schnell nichts aus der Facon bringt bei dieser doch etwas unwirtlichen und sehr (auch körperlich!) anstrengenden Tätigkeit. Konfliktmanagement- und Deeskalationskompetenzen, Motivations-, Team- und Kritikfähigkeit und großes rhetorisches Potenzial – dazu eine attraktive Erscheinung, ein großes Herz und viel Humor – wenn Frau Möller nicht Eisenbahnerin mit Herz wird, dann weiß ich auch nicht.

Anja Ludwig, 27, Berlin

Die Würdigung der Jury

Charakter-Eisenbahnerin mit Humor

Stressig ist das Zugbegleiterleben manchmal – insbesondere bei Verspätungen und in überfüllten Zügen. Nicht selten lassen die Fahrgäste ihren Frust dann am Begleitpersonal ab, obwohl die in der Regel nichts dafür können.

In solchen Situationen helfen Lehrbücher nur bedingt weiter. „Persönlichkeit zählt“, wie es Claudia Möller knapp und treffend formuliert. Die 30-Jährige hat es geschafft, während der chaotischen Reise am Heiligen Abend Kunden zu besänftigen und Dutzende Passagiere zum Lachen zu bringen.

Für die Allianz pro Schiene-Jury ist Claudia Möller eine Charakter-Eisenbahnerin mit Humor, die dank ihrer Persönlichkeit für den Kundenkontakt wie geschaffen ist. Dafür gibt es den zweiten Platz beim „Eisenbahner mir Herz 2011″.