Vom Fakt zum Fragezeichen, vom Fragezeichen zur Fake-Nachricht

Ein Lehrstück über die Wandlung von Botschaften in der massenmedialen Kommunikation

Von Tatsachen zu Falschmeldungen.

Von Dirk Flege*

dpa und Spiegel berichteten am 29. Januar sachlich korrekt über eine Allianz pro Schiene-Pressemitteilung zur prozentualen Preisentwicklung in der motorisierten Nahmobilität. Am Ende stand in mehreren Medien die (Falsch-)Aussage, die Bahn sei in absoluten Preisen teurer als das Auto. Chronik einer absurden Eigendynamik.

Den Erstaufschlag machte der Spiegel. Um Punkt 9 Uhr titelte die Onlineredaktion des Nachrichtenmagazins am 29. Januar 2021 „Wer mit der Bahn pendelt, zahlt drauf“.

 

Wer mit der Bahn pendet, zahlt drauf - Spiegel Online

 

Der Spiegel hatte die Allianz pro Schiene-Pressemitteilung vorab bekommen und exklusiv berichtet. Die Pressemitteilung der Allianz pro Schiene wurde auf der Verbandswebseite erst zwei Stunden später veröffentlicht und an die Medien verschickt. Diese Art der Vorabberichterstattung ist im politischen Berlin ein durchaus übliches Verfahren. Dem Medium beschert es Exklusiv-Berichte, dem Infogeber Resonanz in einem Leitmedium.

Am Anfang standen Fakten

Die Pressemitteilung des gemeinnützigen Verkehrsbündnisses bezieht sich auf Fakten des Statistischen Bundesamtes zur Entwicklung des Verbraucherpreisindex. Die Behörde veröffentlicht regelmäßig Verbraucherpreisindizes für die Personenbeförderung im Eisenbahnverkehr. Sie zeigen die Preisentwicklung von Fahrkarten für repräsentativ ausgewählte Strecken aus Sicht der privaten Haushalte. Neben den Verkaufspreisen für normale Fahrkarten werden auch die Preise für Zeitkarten, Ländertickets und BahnCards in die Indexberechnung einbezogen. In die Pkw-Verbraucherpreisindizes fließen neben den Spritkosten auch weitere Kosten ein, etwa für die Kfz-Versicherung, Kfz-Steuer und Stellplatzmiete.

 

Die Preisentwicklung im Schienennahverkehr.
Quelle: Allianz pro Schiene

 

Vergleichende Zahlen zu den absoluten Kosten der Verkehrsmittel Auto und Bahn veröffentlicht das Statistische Bundesamt nicht. Hier gibt es aber immer wieder Hinweise, dass Autofahren absolut gesehen teurer ist:

Die Allianz pro Schiene-Botschaft in der Pressemitteilung vom 29. Januar zielte auf die Preisentwicklung für Pendler, die sich nach Auffassung des Verkehrsbündnisses in die falsche Richtung entwickelt und Bemühungen behindert, die Klimalast des Verkehrs zu senken und die Städte von der Automasse zu befreien.

Sachlich korrekt hat dpa um 11.39 Uhr aus der Spiegel-Berichterstattung und der Allianz pro Schiene-Pressemitteilung die erste von drei Agentur-Meldungen gemacht, die umgehend von mehreren Medien übernommen wurde (hier die Frankfurter Rundschau):

 

Kosten für Bahnfahren stärker gestiegen als fürs Auto - Frankfurter Rundschau

 

Vom Fakt zum Fragezeichen

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) reagierte um 13.23 Uhr auf die von der Allianz pro Schiene ausgelöste Medienberichterstattung mit einem Pressezitat ihres Hauptgeschäftsführers zum Preisanstieg „bei Bus und Bahn“, obwohl weder die Allianz pro Schiene noch Der Spiegel, dpa oder ein anderes Medium über einen Preisanstieg beim Bus berichtet hatte:

 

Vergleich beim Preisanstieg hinkt - VDV

 

Diese Replik wurde um 13.52 Uhr von dpa aufgegriffen: „Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen hat Kritik an einer Untersuchung zu Kosten für Bahnpendler und Autofahrer geäußert“ lautete der erste Satz der Agenturmeldung. Um 16.14 Uhr folgte dann die dpa-Zusammenfassung. Statt der ursprünglichen Tatsachenfeststellung in der Überschrift der ersten dpa-Meldung vom späten Vormittag endete die Überschrift nun mit einer Frage: „Sonderlast für Bahnpendler?“. Zahlreiche Medien von Focus bis zu klatsch-tratsch.de griffen die Meldung der Deutschen Presse-Agentur auf.

 

Die schwierige Lage des Nahverkehrs - Sonderlast für Bahnpendler? - Klatsch Tratsch

 

Der Schienenpersonenverkehrsverband mofair kommentierte die Verunsicherung am Folgetag auf Twitter wie folgt:

Vom Fragezeichen zur Falschmeldung

Am 30. Januar berichteten Tageszeitungen republikweit über die Preisentwicklung im Nahverkehr. Die ganz überwiegende Mehrzahl sachlich korrekt auf Basis von dpa. Einige Regionalzeitungen verdrehten den Sachverhalt jedoch in der Überschrift. „Kosten für Bahn höher als fürs Auto“ hieß es etwa bei der Leipziger Volkszeitung, „Bahnfahren teurer als das Auto“ bei der Hannoversche Allgemeine und dem Weser-Kurier. Getoppt wurden sie von der Online-Redaktion der Magdeburger Volkszeitung. „Autofahren deutlich billiger als Zugfahren“ lautete die Überschrift des am 31. Januar veröffentlichten Artikels.

 

Autofahren deutlich billiger als Zugfahren

 

Fazit: Ein Sachverhalt, der die Verkehrswende ausbremst, wurde durch Kritik Dritter und journalistische Weiterverarbeitung zu einer Fake-Nachricht, die die Verkehrswende ausbremst. Richtig bleibt: Die Preisentwicklung zwischen Nahverkehrsbahnen und dem Auto geht seit Jahren in die falsche Richtung. Richtig bleibt auch, dass in vielen Fällen die Mobilität ohne eigenes Auto und die Nutzung des Öffentlichen Verkehrs in absoluten Kosten günstiger ist als die Nutzung des eigenen Pkw. Richtig bleibt ebenfalls, dass viele Pkw-Besitzerinnen und -Besitzer die Kosten der Automobilität massiv unterschätzen. Und richtig bleibt, dass Deutschlands Autofahrerinnen und Autofahrer der Allgemeinheit jährlich 104 Mrd. Euro ungedeckte Folgekosten aufbürden – das ist der eigentliche Skandal.

 

Nachtrag vom 2. Februar 2021: Einen Tag nach Erscheinen des Allianz pro Schiene-Artikels „Vom Fakt zum Fragezeichen, vom Fragezeichen zur Fake-Nachricht“ hat die Magdeburger Volksstimme die Überschrift ihres Online-Beitrages in „Bahnfahrer greifen tiefer in die Tasche“ geändert und ohne Datumsangabe folgenden Hinweis ans Ende gesetzt:

Berichtigung: Fälschlicherweise wurde zuvor für diesen Artikel die Überschrift „Autofahren deutlich billiger als Zugfahren“ gewählt. Diese ist faktisch nicht korrekt und wurde, dem Inhalt des Artikels entsprechend, angeglichen.

Die ersten beiden Sätze des Volksstimme-Artikels lauten aber weiterhin „Mit dem Auto zu pendeln ist billiger als mit dem Zug. Das zeigt eine Auswertung der Allianz pro Schiene auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamts“. Eine Fake-Nachricht mit korrekter Überschrift.

 

*Dirk Flege ist gelernter Journalist und Geschäftsführer der gemeinnützigen Allianz pro Schiene.