Die Interviewanfrage kam kurzfristig. Eigentlich wollte Brandenburgs Verkehrsministerin Kathrin Schneider gerade in den Urlaub aufbrechen, doch das Thema gefiel der studierten Agraringenieurin aus der märkischen Heide. Die Allianz pro Schiene gründet ein „Frauennetzwerk für die Eisenbahnbranche“? In ihrem Ministerbüro in Potsdam empfing Kathrin Schneider die Interviewerinnen von der Allianz pro Schiene und ließ keinen Zweifel daran, dass Frauen wissen, was unter einer Motorhaube steckt: Als Lehrling schraubte sie schon mal einen Mähdrescher auseinander und eine ihrer vier Schwestern verlegte höchstpersönlich die Elektrik im elterlichen Haus.
Technik macht Kathrin Schneider also keine Angst. Aber Politik auch nicht. Im November 2014 wurde sie oberste Chefin im „Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung“. Die früher parteilose Schneider besitzt seit dem November 2015 ein SPD-Parteibuch. Fragen geht sie überaus sachlich an. „Gibt es einen weiblichen Blick in der Verkehrspolitik?“ Da überlegt die Ministerin nicht lange. Natürlich. Es ist einer, der sich für Lösungen interessiert.
Allianz pro Schiene: Frau Schneider, im Autoland Deutschland hat es noch nie eine Frau auf den Sessel des Bundesverkehrsministers geschafft. Wir haben eine Kanzlerin, eine Verteidigungsministerin, aber keine Verkehrsministerin. Eine echte Lücke?
Wandelt sich die klassische Männerdomäne „Verkehrspolitik“, wenn mehr Frauen mitarbeiten?
Bei mir ist es so: Weil ich aus der Planung komme, habe ich erst mal eine Karte im Kopf. Die Struktur des Landes, das Skelett. Und erst dann überlege ich, wie man die engeren Verkehrsthemen umsetzen kann. Bei der Mobilität sollte man auch nicht nur von Deutschland ausgehen, sondern ganz Europa ins Auge fassen. Bei den transeuropäischen Netzen haben wir das schon vor vielen Jahren begonnen. Damals haben das viele nicht verstanden, sie dachten, wir sind Esoteriker, wenn wir mit 19 europäischen Partnern zugleich an einem Projekt arbeiten.
Das ist auf jeden Fall komplizierter, als jede Woche eine neue Ortsumgehung einzuweihen.
Kathrin Schneider: Genau, der klassische verkehrspolitische Spatenstich. Das reicht heute einfach nicht mehr. Stattdessen haben wir in der gemeinsamen Landesplanung mit Berlin leidenschaftlich darauf hingesteuert, die Hauptstadtregion zum Kreuzungspunkt von drei transeuropäischen Netzen zu machen. Früher war das hier eine Sackgasse, heute greifen alle Strukturen vernetzt ineinander. Das macht einfach Spaß, an so etwas zu arbeiten. Und je gemischter dabei die Teams sind, desto besser das Ergebnis. Ein ausgeglichener Anteil von Männern und Frauen würde der Politik sicher auch auf Bundesebene guttun.
Gibt es so etwas wie den weiblichen Blick? Und wenn ja, was sieht man damit?
Ich bin überzeugt, dass Männer und Frauen verschieden an Probleme herangehen. Sie nehmen so ein Problem anders auseinander und setzen es unterschiedlich wieder zusammen, um eine Lösung zu finden. Ich habe zwar nicht Psychologie studiert, aber in 25 Jahren Berufsleben habe ich wahrgenommen, dass bei gemischten Teams das Konkurrenzdenken abnimmt und die Problemlösung mehr in den Vordergrund rückt. Ich habe außerdem die Erfahrung gemacht, dass Frauen eher bereit sind, über die Grenzen des eigenen Bereichs hinaus zu denken.
Glauben Sie, dass eine Frauenquote weiterhilft?
Kathrin Schneider: Man braucht die Debatte um die Frauenquote und durchaus auch ein bisschen Druck, um alte Strukturen aufzubrechen. Wir kommen sonst zu langsam voran. Die Quote ist doch nichts anderes als ein Punkt, zu dem ich hin will. Wenn es den gibt, kommt auch das Denken, wie das Ziel zu erreichen ist, in Bewegung. Ich würde gerade die Frage, wie wir den Frauenanteil etwa in technischen Bereichen erhöhen, nicht dem Selbstlauf der Welt überlassen.
Wie viel Lust haben Sie persönlich, sich mit Technik zu befassen?
Ich habe eine Lehre gemacht, wo ich auch mal einen Mähdrescher auseinandergeschraubt habe.
Sind Sie von Ihren Eltern darin bestärkt worden?
Auf jeden Fall. Wir waren zu Hause fünf Schwestern, ich war die jüngste. Da haben wir selbst Hand angelegt. Eine meiner Schwestern hatte eine Lehre als Elektrikerin gemacht, insofern haben wir durchaus in unseren Zimmern die Stromkabel auch mal selbst verlegt. Das durften wir alles zu Hause. Technik macht mir deshalb keine Angst und ist mir auch nicht fremd.
Es wird zurzeit viel von der Verkehrswende geredet. Was für einen Wandel im Verkehrssystem würden sich Frauen wünschen?
Kathrin Schneider: Für die Zukunft ist es wichtig, in Mobilitätsketten zu denken. Menschen wollen von A nach B kommen. Güter müssen von A nach B transportiert werden. Die Frage, wie das passiert, sollte nicht an erster Stelle stehen. Wichtiger ist, welche Anforderungen ich habe und wie sich die verschiedenen Verkehrssegmente ergänzen. Wie kann ich auf der Schiene, auf der Straße, zu Wasser und in der Luft Mobilitätsketten bilden, wie das Fahrrad und die Wege zu Fuß einbeziehen? Hier kommen dann die Nutzergruppen ins Spiel: Die Mobilität muss einfach verständlich und zugänglich sein. Und wenn wir so weit sind, dass man keine Software programmieren muss, um zu mobil zu sein, dann gefällt es auch den Frauen.
Der Verkehrssektor, wie wir ihn heute kennen, tut sich schwer mit Vernetzung. Die klassischen Lobbys denken am liebsten in Schubladen und wollen ihren Besitzstand wahren. Wie versteinert ist Deutschland, besonders mit seiner berüchtigten Autolobby?
Es kommt drauf an, ob man die Lobby lässt. Eigentlich will ich ganz weg vom Denken in Sparten: Hier habe ich die Straßen und die zugehörige Lobby. Dort ist die Schiene und deren Lobby. Und da hinten: die Fahrradfahrer und deren Vertreter.
Sie haben jetzt die Binnenschiffer vergessen.
Genau so: das macht doch keinen Sinn. Statt stur in den üblichen Sparten zu verharren, haben wir um Berlin herum einen Ring von Güterverkehrszentren gebaut, die sich sehr gut entwickeln. Früher sind wir belächelt worden, aber es funktioniert. Überall haben wir mindestens Schiene und Straße vorgesehen, manchmal sogar trimodale Strukturen. Hier zeigt sich die Überlegenheit des verkehrsträgerübergreifenden Denkens: Wir ermöglichen einen sinnvollen kombinierten Verkehr. Güterzüge fahren direkt ins Werk, um etwa Waschmaschinen abzuholen. Der Lkw übernimmt die Feinverteilung. Denn natürlich kann der Güterzug niemals direkt in den Laden fahren.
Was könnte die Bahnbranche besser machen, um bei der Politik und speziell bei Ihnen echte Begeisterung auszulösen?
Bei der Bahn sehe ich ein großes Thema: Das ist Zuverlässigkeit. Die Züge müssen pünktlich sein. Dann werden sie auch angenommen. Ein Fahrgast auf Dienstreise, der einfach mal die Bahn ausprobiert und sofort mit Verspätung ankommt, ist als Kunde verloren. Das gilt auch für die Wirtschaft im Gütertransport: Der Fahrplan muss funktionieren, nur dann funktioniert das System insgesamt. Daran muss die Bahn arbeiten.
Sie sind ja häufiger mit der Bahn unterwegs: Erinnern Sie sich spontan an Ihre schönste Geschichte, die Sie unterwegs erlebt haben?
Kathrin Schneider: Oh ja. Ich saß im Berlin-Warschau-Express und las ein Buch von Steffen Möller über den Berlin-Warschau-Express. Darin beschreibt er sehr anschaulich den Speisewagen: Das Interieur, den Oberkellner, den Unterkellner, das frisch zubereitete Rührei, was im europäischen Zugnetz einzigartig ist. Also ging ich in den Speisewagen, und fand alles ganz genau so wie beschrieben. Zurück auf meinem Platz füllte sich der Zug immer mehr, und es fiel mir auf, wie interessiert die Menschen aneinander waren. Mein Gegenüber, eine Polin, wollte wissen, was in meinem Buch steht. Nun ist mein Polnisch nicht gut, und sie konnte nicht deutsch. Aber ein paar Sitze weiter fand sich eine junge Russin, die deutsch und polnisch sprach. Sie übersetzte und wir führten eine angeregte Debatte über den Berlin-Warschau-Express. Das war eine Fahrt mit Flair.
Journalisten sammeln am liebsten Bahn-Horrorgeschichten. Haben Sie da auch eine erlebt?
Horror nicht, aber wenn ich von Berlin aufs Land raus fahre und das Fahrrad mitnehme, weil ich vom Bahnhof noch zwanzig Kilometer zu radeln habe, dann kann es eng werden. Wenn sich der Zug immer mehr füllt, mit noch einem Fahrrad und noch einem Kinderwagen, dann kann man schon live erleben, wie die Reisenden im Stress miteinander umgehen. Manche haben große Angst am Bahnhof nicht rechtzeitig aus dem Zug zu kommen. Aber es gibt auch die gute Nachricht: Rein komme ich mit meinem Fahrrad immer.
In der Konferenz der Länderverkehrsminister sind Sie nicht die einzige Frau. Verbindet Sie mit Ihren weiblichen Kolleginnen aus Thüringen und dem Saarland ein besonderes Einverständnis?
Bis jetzt haben wir noch kein Frauennetzwerk gegründet.
Wollen Sie mal drüber nachdenken?
Nachdenken ist in der Verkehrspolitik immer gut.
Das Interview mit Kathrin Schneider führten Barbara Mauersberg und Jolanta Skalska.