Ascan Egerer träumte als Kind nie davon, bei der Eisenbahn zu arbeiten – und trotzdem kann er sich heute kein schöneres Berufsumfeld vorstellen. Als technischer Geschäftsführer der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) trägt er die Verantwortung für die Produkte und Systeme des Unternehmens. Egerer ist sicher, dass kaum eine andere Branche so viel zu bieten hat, wie die Schienenbranche. Doch leider ist die Eisenbahn zu bescheiden. Im Interview spricht der Geschäftsführer über Imageprobleme und Fachkräftemangel der Branche – und was man dagegen tun kann.
Herr Egerer, was wollten Sie werden, als Sie 10 Jahre alt waren?
Ascan Egerer: Ich habe mir eigentlich bis zum Schluss immer alles offengehalten. (Lacht) Ich war immer flexibel und habe mich nicht zu früh festgelegt – und das hat sich bewährt.
Sie haben also nicht von Anfang an die Eisenbahnbranche im Kopf gehabt?
Nicht unbedingt. Ich habe mich allerdings schon früh für das Themenfeld „nachhaltige, umweltfreundliche Mobilität“ interessiert. Klar hatte da auch die Eisenbahn ihren Stellenwert. Ich war da auch durch meine Familie geprägt. Mein Großvater war bei der Bahn und da habe ich immer eine Menge mitbekommen. Insofern war da wahrscheinlich schon ein kleiner Grundstein gelegt.
Und wenn Sie Ihre Kinder davon überzeugen wollen, für die Bahnbranche zu arbeiten, welche drei Argumente würden Sie nennen?
Erstens: Die Bahnbranche ist vielseitig, also sehr abwechslungsreich. In kaum einer anderen Branche gibt es so viele berufliche Facetten. Zweitens: Die Bahnbranche ist innovativ. Das macht sie äußerst spannend. Drittens: Die Bahnbranche ist nachhaltig – eine Branche mit Zukunft. Man kann mit gutem Gewissen dahinterstehen.
Dennoch ist der Fachkräftemangel bei der Bahn ganz besonders zu spüren. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Ich glaube schon, dass die Branche in der Vergangenheit zu wenig attraktiv dargestellt wurde. Es wurde oftmals nicht wirklich gezeigt, was die Bahn alles zu bieten hat – gerade die beruflichen Möglichkeiten sind vielen nicht bekannt. Dadurch hinkt die Branche natürlich anderen hinterher. Das müssen wir ändern. Wir sind auch unter Marketing-Gesichtspunkten nicht so präsent, wie zum Beispiel die Automobilbranche. Die hat auch ganz andere Budgets zur Verfügung, mit denen Produkte und Dienstleistungen beworben werden können. Das spielt eine große Rolle, um überhaupt erstmal Interesse bei den Menschen zu wecken.
Besonders Lokführer werden händeringend gesucht. Wieso ist das so? Der Arbeitsplatz ist doch sicher und auch die Bezahlung ist besser, als in vielen anderen Bereichen.
Das ist eine sehr gute Frage. Der Beruf ist ja mit der Zeit immer attraktiver geworden. Das Arbeitsumfeld, konkret der Arbeitsplatz, wird immer besser, zum Beispiel aus ergonomischer Sicht. Dadurch wird das Arbeiten für den Lokführer immer angenehmer. Trotzdem tut sich die Branche schwer bei der Nachwuchsfindung. Es liegt an uns, dass wir potenziellen Bewerbern den Job besser verkaufen und auch einfach mal zeigen, was ein Lokführer so den ganzen Tag macht. Wir bei der AVG nehmen daher potenzielle Nachwuchskräfte auf Sonderfahrten mit und zeigen direkt in der Praxis, wie der Beruf aussieht. Wir hoffen, dass wir dadurch das Interesse bei Bewerbern verstärken und einen authentischen Einblick in das Arbeitsumfeld geben. Der Lokführer-Beruf ist ja wirklich klasse: Man ist sein eigener Chef im Fahrzeug, hat viel Verantwortung, hat mit Menschen zu tun, ist aber auch mal für sich. Kunden, Technik, Bahnbetrieb, Service: Der Job ist sehr facettenreich. Außerdem ist er zukunftssicher – trotz aller technischen Entwicklungen. Wir werden immer Menschen brauchen, die für unsere Züge und Fahrgäste da sind.
Wie viele Lokführer sind denn derzeit bei der AVG angestellt?
Wir haben ungefähr 350 Lokführer. Uns fehlen derzeit allerdings noch 30, weshalb wir massiv ausbilden. In dem Rahmen haben wir auch eine Werbe-Kampagne gestartet, um neue Leute zu begeistern. Allein in den vergangenen drei Jahren haben wir fast 120 Menschen für die Tätigkeit gewinnen können und ausgebildet. Die Menschen kommen dabei aus allen Branchen, zum Beispiel aus der Gastronomie. Viele finden dann bei uns ihren Traumjob und sind am Ende ganz begeistert dabei. In neun Monaten sind Berufsumsteiger bei uns fertige Triebfahrzeugführer – und das bei voller Bezahlung ab dem ersten Tag und einer garantierten Übernahme bei Bestehen der Abschlussprüfungen. Wir setzen auf eine moderne, vielseitige Ausbildung und setzen auch Fahrsimulatoren ein. Und dann geht’s auch auf landschaftlich wirklich schöne Strecken…
Wo wir schon beim Traumjob sind: Was begeistert Sie denn persönlich an der Eisenbahn und Ihrem Job?
Ich bin ein absoluter Nahverkehrs-Mensch. Gemeinsam mit unseren Kunden, Aufgabenträgern und Bestellern erarbeiten wir im Team – auch das ist ein positives Merkmal – immer neue Lösungen, um das System Bahn weiterzuentwickeln. Das macht unheimlich viel Spaß.
Die AVG gilt in der Branche spätestens seit der Einführung des Karlsruher-Modells als innovativ. Auch Ihre Image-Broschüren sind besonders. Auf einem Magazin waren mal Körperkünstler zu sehen.
Ja, bei der Werbung geht’s genau darum: Unser Verkehrssystem attraktiver darzustellen. Denn ÖPNV soll ja auch Spaß machen und darf auch mal schön aussehen.
Und was hat es mit der Auto-Fasten-Aktion auf sich?
Mit der Auto-Fasten-Aktion im KVV als Verkehrsverbund wollten wir Leute gewinnen, einfach mal das Auto stehen zu lassen und auf die öffentlichen Verkehrsmittel umzusteigen. Das spart viele Autokilometer ein und ist deutlich umweltfreundlicher. Um die Aktion anzukurbeln und zu unterstützen, haben wir im Fasten-Zeitraum unser Angebot tariflich angepasst. Solche Aktionen eignen sich übrigens auch wunderbar für die Sozialen Medien. Da sollte die Branche öfter mitziehen. Das wird immer wichtiger.
Letzte Frage: Was muss aus Ihrer Sicht noch getan werden, um mehr Menschen für einen Beruf in der Bahnbranche zu begeistern?
Wir müssen die Arbeitsplätze attraktiv gestalten. Damit meine ich nicht nur die Bezahlung, die sicher eine Rolle spielt, sondern auch das Umfeld. Und wir müssen auch einfach unser Image verbessern. Die Eisenbahnbranche ist so eine tolle, zukunftsfähige Branche – das müssen wir jungen Fachkräften klarmachen.
Herr Egerer, vielen Dank für das Gespräch.
Interview mit Matthias Birnbaum, Chef der RT&S Lokführer-Akademie
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