Themen: Infrastruktur

Schienennetz: Deutschland im Länder-Ranking hinten

Rückstand bei Pro-Kopf-Invest / Österreich und Schweiz mit „Schiene vor Straße“

Deutschland investierte 2017 mehr Geld in sein Schienennetz als je zuvor. Aber desselbe gilt für das Straßennetz. Eine Verkehrswende gelingt so nicht. Andere Europäer machen’s anders, zeigt der EU-Vergleich.
Mehr Geld fürs Netz? Ja, aber Deutschland investierte auch 2017 mehr in Straßen als in Schienen. Eine Verkehrswende gelingt so nicht. Andere Europäer machen’s anders, zeigt der EU-Vergleich.

Berlin, den 12. Juli 2018. Während viele europäische Länder ihre Schienennetze für das künftige Verkehrswachstum ausbauen, steckt Deutschland trotz Rekordinvestitionen immer noch zu wenig Geld in seine Eisenbahninfrastruktur. Im Vergleich zu ausgewählten europäischen Ländern erreicht die Bundesrepublik auch 2017 nur einen der hinteren Ränge im Europa-Invest-Ranking, während nach einer Aufstellung der Allianz pro Schiene und der Unternehmensberatung SCI Verkehr wichtige europäische Wirtschaftsnationen auf dreistellige Pro-Kopf-Summen bei ihren staatlichen Investitionen in die Schieneninfrastruktur kommen. Spitzenreiter Schweiz gab 362 Euro pro Bürger aus, gefolgt von Österreich mit 187 Euro pro Einwohner. Beide Alpenländer stecken seit Jahren höhere Summen in ihre Schienennetze als in ihre Straßeninfrastruktur. Doch auch in anderen europäischen Ländern brummt der Netzausbau: Schweden investiert 183 Euro pro Bürger, Großbritannien lässt sich sein Netz 165 Euro kosten und die Niederlande wenden 128 Euro auf. Italien gibt 73 Euro für die Ertüchtigung der Schiene aus, während Deutschland mit 69 Euro pro Bundesbürger den Abstand zu potenten Ländern in Europa immer noch nicht aufgeholt hat. Obwohl Deutschland im Vergleich zu 2016 (64 Euro) bereits ein deutliches Plus bei den Schieneninvestitionen auf Bundesebene verzeichnen konnte, investierten unter den betrachteten Ländern im Jahr 2017 lediglich Spanien (32 Euro pro Kopf) und Frankreich (38 Euro) weniger in ihre Eisenbahninfrastruktur.  

Deutschland investierte 2017 mehr Geld in sein Schienennetz als je zuvor. Aber desselbe gilt für das Straßennetz. Eine Verkehrswende gelingt so nicht. Andere Europäer machen’s anders, zeigt der EU-Vergleich.

Deutsches Schienennetz braucht 80 Euro pro Bürger

„Die mageren Jahre hat unser Schienennetz zwar hinter sich, aber von einer echten Trendwende des Bundes lässt sich trotz der Rekordinvestitionen für 2017 immer noch nicht sprechen“, sagte der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege am Donnerstag in Berlin. „Obwohl die Politik parteiübergreifend eine dynamische und zukunftsweisende Bahnpolitik will, reichen die Aufwendungen nicht für eine Verkehrswende“, bilanzierte Flege. Während Deutschland 2014 nur 49 Euro pro Bürger ins Schienennetz gesteckt hatte, waren es 2015 schon 56 und 2016 bereits 64 Euro. Die Summe allerdings, die statt der aktuell 69 Euro in absoluten Zahlen nötig wäre, um den Erhalt zu sichern und auch beim Neu- und Ausbau nennenswert voranzukommen, bezifferte der Allianz pro Schiene-Geschäftsführer auf rund 80 Euro pro Kopf. „Für die Digitalisierung des Netzes, den Deutschland-Takt, für die im Koalitionsvertrag angepeilte Verdopplung der Fahrgastzahlen bis 2030 oder für eine systematische Güterverlagerungspolitik, die der Masterplan Schienengüterverkehr des Bundesverkehrsministeriums vorsieht: Wir brauchen es beim Netzausbau schon zwei Nummern größer“, sagte Flege.

Falsche Weichenstellung: Zuviel Geld für die Straße

Die Allianz pro Schiene mahnte vor allem einen Wechsel bei den Prioritäten an: Seit Jahren fließt in Deutschland deutlich mehr Geld in den Straßenbau als in die Schieneninfrastruktur, kritisierte Flege. „Die Transitländer Schweiz und Österreich begleiten die Verkehrsverlagerung im Sinne eines umweltverträglichen Verkehrs ganz gezielt mit Investitionen in ihre Eisenbahnnetze, während Deutschland seine straßenlastige Weichenstellung immer weiter fortschreibt und sich dann wundert, warum es seine Umweltziele verpasst.“

Deutschland investierte 2017 mehr Geld in sein Schienennetz als je zuvor. Aber desselbe gilt für das Straßennetz. Eine Verkehrswende gelingt so nicht. Andere Europäer machen’s anders, zeigt der EU-Vergleich.

„Weil der Bund die Trassenpreise im Güterverkehr noch für das Jahr 2018 gesenkt hat, um mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen, bekommt der Netzausbau sogar eine noch größere Dringlichkeit“, sagte Flege und erinnerte daran, dass amtliche Verkehrsprognosen den Güterbahnen in den nächsten Jahrzehnten ein gewaltiges Wachstum vorhersagen. „Um dafür gerüstet zu sein, sollte der Bund ab sofort mit der Schweiz und Österreich gleichziehen und seine Prioritäten auf die Schiene umstellen. Beschleunigte Planungsverfahren, Digitalisierung und die Ertüchtigung des Netzes für 740 Meter lange Güterzüge müssen ganz vorne auf die Agenda. Genauso wichtig: Die Engpassbeseitigung für den Deutschland-Takt und ehrgeizige Elektrifizierungsprogramme mit Strecken in allen Bundesländern, damit wir 2025 auf einen Elektrifizierungsgrad von 70 Prozent kommen.“

SCI: Wir verspüren Rückenwind bei den Investitionen

Die Geschäftsführerin von SCI Verkehr, Maria Leenen, schloss sich der Einschätzung an, dass Deutschland eine Investitionssumme von 80 Euro pro Bürger ins Schienennetz anstreben sollte. „Das reiche Deutschland leistet sich weniger Schiene als viele unserer europäischen Nachbarn“, sagte Leenen. „Damit bremst Deutschland nicht nur den innerdeutschen Güterverkehr aus, sondern steht auch bei den europäischen Korridoren auf der Bremse.“ Leenen verwies darauf, dass die Schweiz wegen der Streckensperrung in Rastatt 2017 spürbare Einbußen beim Marktanteil des Schienengüterverkehrs zu verkraften hatte. „Wir brauchen in Deutschland dringend mehr Redundanzen im Netz, damit im Störungsfall nicht noch einmal eine Magistrale für ganz Europa blockiert ist“, sagte Leenen.

Europas Schienennetz: Es fehlt an Koordination beim grenzüberschreitenden Ausbau

Dennoch begrüßte die SCI-Geschäftsführerin die jüngsten Weichenstellungen der deutschen Investpolitik. „Wir spüren Rückenwind. Die Botschaft, dass die Eisenbahninfrastruktur jahrelang dramatisch unterfinanziert war, ist bei der Politik angekommen.“ Leenen mahnte zugleich einen gesamthaften europäischen Ansatz beim Ausbau der nationalen Schienennetze an. So hatte der EU-Rechnungshof Ende Juni kritisiert, dass die Hochgeschwindigkeitsnetze der Staatsbahnen oft ein „Flickenteppich“ seien und der grenzüberschreitende Ausbau der Strecken keine Priorität habe. Erst kürzlich habe die Allianz pro Schiene auf den unzureichenden Ausbauzustand der Grenzübergänge im Schienengüterverkehr hingewiesen, sagte Leenen. „Von 57 deutschen Eisenbahn-Grenzübergängen sind lediglich 25 mit einer Oberleitung ausgestattet. Deutschland sollte mit gutem Beispiel vorangehen und die jetzt ins Auge gefassten Engpassbeseitigungen auch grenzüberschreitend mitdenken.“

Weitere Informationen:

Alle Grafiken zum Download

Der EU-Rechnungshofbericht

Karte zu Elektrifizierungsmängel an Deutschlands Grenzübergängen