Berlin, den 15. April 2014. Das EU-Parlament hat den jüngsten Vorstoß der EU-Kommission zurückgewiesen, den grenzüberschreitenden Einsatz von Riesen-Lkw zwischen Nachbarstaaten per Richtlinienänderung zu erlauben. „Wir freuen uns, dass die Parlamentarier wachsam genug waren und in dem Vorstoß der Kommission den Wolf im Schafspelz entdeckt haben2, sagte der Koordinator des europaweiten Bündnisses No Mega Trucks, Martin Roggermann am Dienstag in Berlin. Die Erlaubnis grenzüberschreitender Fahrten für übergroße Lkw im Rahmen einer harmlos erscheinenden Aerodynamik-Richtlinie wäre der Dammbruch gewesen, mit dem die Gigaliner in vielen Ländern Europas Einzug gehalten hätten, sagte Roggermann. Die EU-Kommission sei jetzt gefordert, eine echte Risikoabschätzung vorzulegen, sagte der No Mega Trucks-Koordinator. Das Bündnis, dem EU-weit 240 Organisationen und Verbände angehören, wird in Deutschland unter anderem von der Allianz pro Schiene getragen.
Roggermann erinnerte daran, dass in Deutschland seit mehr als zwei Jahren ein hochumstrittener Test mit Riesen-Lkw laufe, gegen den mehrere Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig seien. Die EU zeigt dem Gigaliner das Stoppschild und schlägt mit Sicherheitsverbesserungen und aerodynamischen Optimierungen bei den Fahrzeugmaßen einen grundsätzlich anderen Weg ein als der deutsche Testlauf, sagte Roggermann. Vor diesem Hintergrund warte No Mega Trucks mit Spannung auf die Entscheidung aus Karlsruhe, die noch für dieses Jahr angekündigt sei.
Kritiker der überdimensionierten Lastwagen bemängeln am Konzept Riesen-Lkw wettbewerbsverzerrende Kostenvorteile zugunsten des Straßengüterverkehrs. Die Folge wäre, dass Güter von umweltfreundlichen Verkehrsträgern wie Güterbahn oder Binnenschiff zurück auf die Straße verlagert werden.
Sechs Fragen und Antworten zum Gigaliner
1. Was ist eigentlich ein Riesen-Lkw?
Sie heißen Gigaliner, EuroCombi, Ökoliner oder Lang-Lkw, doch hinter den harmlosen Namen verstecken sich noch längere und schwerere Lastwagen. Deutschland erlaubt 25 Meter lange und bis zu 44 Tonnen schwere Lastwagen in einem sogenannten Feldversuch. Doch überall dort in Europa, wo Riesen-Lkw eingesetzt werden, wiegen sie bereits 60 Tonnen etwa in den Niederlanden oder Dänemark. Schweden hat gerade angekündigt, das Lkw-Gewicht von 60 auf 74 Tonnen zu erhöhen Versuche mit 30 Meter langen und 90 Tonnen schweren Lkw laufen.
2. Wo fahren Gigaliner in Europa?
In Finnland und Schweden fahren Riesen-Lkw schon lange. Doch die weiträumigen, relativ dünn besiedelten skandinavischen Regionen mit wenig Straßenverkehr sind nicht zu vergleichen mit dem Rest Europas. Dort ist das Straßennetz dicht gebaut und stark befahren – für Gigaliner nicht geeignet. Auch Dänemark und die Niederlande testen 25 Meter Lkw mit 60 Tonnen.
3. Wo fahren Gigaliner in Deutschland?
Deutschland hat im Dezember 2011 eine Ausnahmeverordnung erlassen, um Riesen-Lkw zu testen. Die Verordnung, die seinerzeit vom Bundesverkehrsministerium erlassen wurde, sieht vor, dass Gigaliner neben Autobahnen und Bundesstraßen auch auf einer Vielzahl von Landes-, Kreis- und Gemeindestraßen fahren dürfen. In folgenden Bundesländern fahren zur Zeit Riesen-Lkw: Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Hessen, Thüringen, Sachsen und Bayern. Seit dem Regierungswechsel in Schleswig-Holstein ist das Land skeptisch gegenüber dem Versuch und hat sich auch der gemeinsamen Klage von Bremen und Baden-Württemberg beim Bundesverfassungsgericht angeschlossen. Das Gericht soll klären, ob der Test auf Basis einer Ausnahmeverordnung des Bundes überhaupt verfassungsgemäß ist.
4. Was erhoffen sich die Befürworter?
Die Befürworter übergroßer Lkw werben gerne mit Umweltargumenten, in Wirklichkeit versprechen sie sich aber eine Kostenersparnis im Lkw-Transport von bis zu 30 Prozent. Zu den Befürwortern von übergroßen Lkw gehört der Verband der Automobilindustrie (VDA), der Bundesverband des Groß- und Außenhandels (BGA) und weitere Verbände des Straßentransportgewerbes.
5. Was befürchten die Gegner?
Die Gegner von übergroßen Lkw befürchten, dass durch die Verbilligung des Lkw-Verkehrs durch Gigaliner ein Anreiz für mehr Straßengüterverkehr geschaffen wird. Durch den Kostenvorteil der Gigaliner könnten Güter von umweltfreundlichen Verkehrsträgern zurück auf die Straße verlagert werden. Das Ergebnis wären mehr Lkw-Fahrten und eine größere Umweltbelastung. Zu den Gegnern von übergroßen Lkw zählen die in der Allianz pro Schiene zusammengeschlossenen Automobilclubs, Umweltverbände und Eisenbahnen sowie der Deutsche Städtetag und die Deutsche Polizeigewerkschaft. Auf EU-Ebene haben sich die Gegner zum Bündnis No Mega Trucks zusammengeschlossen.
6. Kann der Gigaliner-Test in Deutschland noch gestoppt werden?
Ebenso wie die Bundesländer Baden-Württemberg, Bremen und Schleswig-Holstein haben auch die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen beschlossen, gegen den laufenden Feldversuch vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. Sie werfen der Bundesregierung vor, im Alleingang ohne Beteiligung von Bundesrat und Bundestag gehandelt zu haben. Ein Gutachten des renommierten Verfassungsrechtlers Prof. Dr. Ulrich Battis kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Verordnung verfassungswidrig ist. Die eingereichten Klagen haben keine aufschiebende Wirkung, könnten den Versuch im Ergebnis aber noch ausbremsen.