Berlin. Die Bahnbranche erwartet von einer neuen Bundesregierung die Neuausrichtung der Verkehrspolitik. „Stärker als bisher müssen in der Bundespolitik die arbeitsmarktpolitischen Chancen und die Energieeffizienzvorteile des Schienenverkehrs berücksichtigt werden“, verlangte der Allianz pro Schiene-Vorsitzende Norbert Hansen.
Hansen, der auch Vorsitzender der TRANSNET-Gewerkschaft ist, sagte am Donnerstag vor Pressevertretern in Berlin, „wer vor dem Hintergrund der steigenden Benzin- und Dieselpreise die Abhängigkeit vom Öl verringern will, kommt an einer ‚Pro-Schiene-Politik‘ nicht vorbei“. Dies müssten „Jamaika-Koalitionäre genauso zur Kenntnis nehmen wie Großkoalitionäre“. Nach Hansens Angaben entfallen 30 Prozent des Endenergieverbrauchs in Deutschland auf den Verkehrssektor, wobei die Bahn bei gleicher Leistung im Personenverkehr nur halb so viel Energie wie der Pkw benötigt und im Güterverkehr lediglich ein Viertel so viel Kraftstoff wie der Lkw.
Auch müsse der Schienenverkehr in Deutschland stärker als Jobmotor gesehen werden. „900.000 Arbeitsplätze hängen an der Schienenbranche, die mit einem Jahresumsatz von 49 Milliarden Euro zu den Schlüsselbranchen Deutschlands gehört, aber bislang nicht immer als solche behandelt worden ist“, sagte der Allianz pro Schiene-Vorsitzende.
Der stellvertretende Allianz pro Schiene-Vorsitzende und Aufsichtsratsvorsitzende von Bombardier Transportation, Peter Witt, verwies auf die „weltweite Renaissance“ der Schiene, bei der Deutschland nicht den Anschluss verlieren dürfe. In den USA betrage der Marktanteil des Schienengüterverkehrs mittlerweile 52 Prozent, China baue jährlich 1.800 Kilometer neue Bahnstrecken und Spanien investiere bis zum Jahr 2020 jedes Jahr 7 Milliarden Euro in die Schieneninfrastruktur. Obwohl die Schienenverkehrstechnik „eine der wenigen Branchen“ sei, „in denen Deutschland noch führend ist“, habe die Bundesregierung in den vergangenen Jahren „alle konkurrierenden Verkehrsträger mit konzertierten Aktionen unterstützt, die Schiene aus unerklärlichen Gründen jedoch nicht“.
„Industriepolitisch muss die Schienenverkehrspolitik einen deutlich höheren Stellenwert bekommen“, verlangte Witt, der auch Sprecher des aus 58 Unternehmen bestehenden Förderkreises der Allianz pro Schiene ist. Dieser höhere Stellenwert müsse sich unter anderem in Investitionen für Schienenwege niederschlagen. Witt: „Die neue Bundesregierung muss jährlich mindestens fünf Milliarden Euro in die Schieneninfrastruktur investieren. Bei den jährlichen Pro-Kopf-Investitionen würde die Bundesrepublik als Haupttransitland Europas dann immerhin zu Slowenien aufschließen“.
Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Adolf Müller-Hellmann, nannte das voraussichtliche Güterverkehrswachstum von 50 Prozent in den nächsten zehn Jahren „eine der wesentlichen Herausforderungen der Verkehrspolitik“. Die von der bisherigen Bundesregierung auf den Weg gebrachte Gleisanschlussförderung und die Förderung des Güterumschlags von Straße auf Schiene müssten „unbedingt fortgesetzt werden“. Müller-Hellmann: „Durch die Fortführung dieser Förderprogramme kann die Politik mit geringem Mitteleinsatz nennenswert zur Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene beitragen.“ Priorität müsse in den nächsten Jahren dem bestehenden Schienennetz und dem Ausbau der so genannten Schienenverkehrsknoten eingeräumt werden.
Damit das Schienennetz in Deutschland „nicht noch weiter schrumpft“, forderte der VDV-Hauptgeschäftsführer die Politik auf, insbesondere bei der regionalen Schieneninfrastruktur „den betriebswirtschaftlichen Druck von Einzelstrecken zu nehmen“. Solange die konkurrierenden Verkehrsträger Straße, Luft und Wasserstraße nicht eigenwirtschaftlich sein müssen, dürfe sich die ausschließlich betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise bei regionalen Bahnstrecken „allenfalls auf Teilnetze beschränken und nicht auf Einzelstrecken“.