Mehr als drei Viertel der Bürger gegen Gigaliner

Forsa-Umfrage: Ablehnung von Riesen-Lkw in Deutschland steigt

Gegen Gigaliner
Autofahrer haben häufig Angst vor überlangen Lkw. Kein Wunder: Schon jetzt ist an jedem fünften tödlichen Unfall ein Lkw beteiligt.

Berlin, den 29. August 2014. Mehr als drei Viertel der Deutschen lehnen Riesen-Lkw auf deutschen Straßen ab. Das hat eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts forsa im Auftrag der Allianz pro Schiene, des Automobil-Clubs Verkehr (ACV) und des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) ergeben. Insgesamt sprachen sich 79 Prozent der Befragten gegen eine Zulassung von übergroßen Lastwagen auf deutschen Straßen aus, während nur 17 Prozent dafür waren. Damit hat sich die Ablehnung der Gigaliner in der Bevölkerung noch verstärkt: bei der letzten Forsa-Umfrage im Jahr 2011 waren 77 Prozent der Deutschen gegen Riesen-Lkw und 18 Prozent dafür. Als Hauptgründe für ihr Votum nannten die Befragten das größere Unfallrisiko (55 Prozent) und die erhöhten Steuermittel für den Umbau des Straßennetzes (51 Prozent). 47 Prozent der Deutschen gaben als sehr wichtigen Grund an, dass durch den Einsatz von Riesen-Lkw Transporte von der Schiene zurück auf die Straßen verlagert würden, was für die Umwelt schädlich sei.

Video: Statement von Dirk Flege, Geschäftsführer Allianz pro Schiene

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„Die deutschen Autofahrer haben zu Recht Angst vor den Riesen-Lastwagen. Schon jetzt ist an jedem fünften tödlichen Unfall ein Lkw beteiligt. Der massenhafte Einsatz von übergroßen Lkw auf deutschen Straßen würde sich in der Verkehrssicherheit negativ auswirken“, sagte ACV-Geschäftsführer Horst Metzler und verwies auf den jüngsten Bahnübergangsunfall in Baden-Württemberg mit 32 Verletzten, den nach ersten Polizei-Hinweisen ein 48 Tonnen schwerer Lkw verursacht hatte. Das massiv überladene Fahrzeug hatte sich an einem Bahnübergang festgefahren, der eigentlich nur für 3,5 Tonnen schwere Lkw ausgelegt war. Bereits 2013 habe die Autobahnpolizei Köln mehrere tödliche Unfälle mit illegal fahrenden Schwerlastern zur Anzeige gebracht, sagte Metzler. „Angesichts solcher Vorkommnisse sind die Befürchtungen der Autofahrer im Hinblick auf künftige Unfälle mit Gigalinern sehr nachvollziehbar.“

„Die Ergebnisse sind ein Misstrauensvotum gegen die Riesen-Lkw-Experimente der Regierung“, sagte der Allianz pro Schiene-Vorsitzende Alexander Kirchner anlässlich der Vorstellung der forsa-Umfrage in Berlin. „Während das Verkehrsministerium Anfang 2012 gegen den Widerstand der Mehrheit der Bundesländer einen Test mit übergroßen Lkw gestartet hat, ist das Misstrauen in der Bevölkerung weiter gewachsen.“ Der Allianz pro Schiene-Vorsitzende betonte, dass alle typischen Befürworter-Argumente bei der Befragung durchgefallen seien. „Nur 22 Prozent der Deutschen fanden es überzeugend, dass Riesen-Lkw durch Kraftstoff-Ersparnis angeblich die Umwelt schonen“, sagte Kirchner. Dass durch die Zulassung von Gigalinern der Lkw-Verkehr insgesamt weniger werde, glaubte weniger als ein Drittel der Deutschen. Dagegen gingen 55 Prozent der Befragten davon aus, der Riesen-Lkw werde zu mehr und nicht zu weniger Lkw-Verkehr auf den Straßen führen.

Joachim Berends, Vizepräsident Schienengüterverkehr beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) verwies auf eine Studie des Fraunhofer Instituts zum Thema Verlagerung von Gütern zurück auf die Straße. Danach müsste der europäische Schienengüterverkehr bei einer Zulassung von Riesen-Lkw mit erheblichen Einbußen rechnen. „Die Forscher haben ermittelt, dass durch den Einsatz von Riesen-Lkw mehr als 35 Prozent der Verkehrsleistung des Einzelwagenverkehrs zurück auf die Straße verlagert werden würde“, sagte Berends und kritisierte, dass die Lkw-Branche ihre Wettbewerbsvorteile auf Kosten der Allgemeinheit finanziere. „Die Mittel für Ertüchtigung und Verschleiß der Straßen-Infrastruktur trägt in diesem Geschäftsmodell der Steuerzahler.“ Es sei bemerkenswert, dass die Deutschen laut forsa diesen Zusammenhang sehr wohl verstanden hätten, sagte Berends.

VDV, ACV und Allianz pro Schiene forderten die Bundesregierung auf, den laufenden Riesen-Lkw-Test zu beenden. „Der Bund will mit diesem Test Fakten schaffen und sich darüber hinwegsetzen, dass die Menschen in Deutschland keine Riesen-Lkw wollen“, sagten die Repräsentanten von ACV, VDV und Allianz pro Schiene.

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Fragen und Antworten zum Gigaliner

1. Was ist eigentlich ein Riesen-Lkw?
Sie heißen Gigaliner, EuroCombi, Ökoliner oder Lang-Lkw, doch hinter den harmlosen Namen verstecken sich noch längere und schwerere Lastwagen. Deutschland erlaubt 25 Meter lange und bis zu 44 Tonnen schwere Lastwagen in einem sogenannten Feldversuch. Doch überall dort in Europa, wo Riesen-Lkw eingesetzt werden, wiegen sie bereits 60 Tonnen – etwa in den Niederlanden oder Dänemark. Schweden hat gerade angekündigt, das Lkw-Gewicht von 60 auf 74 Tonnen zu erhöhen – Versuche mit 30 Meter langen und 90 Tonnen schweren Lkw laufen.

Gegen Gigaliner

2. Wo fahren Gigaliner in Europa?
In Finnland und Schweden fahren Riesen-Lkw schon lange. Doch die weiträumigen, relativ dünn besiedelten skandinavischen Regionen mit wenig Straßenverkehr sind nicht zu vergleichen mit dem Rest Europas. Dort ist das Straßennetz dicht gebaut und stark befahren – für Gigaliner nicht geeignet. Auch Dänemark und die Niederlande testen 25 Meter Lkw mit 60 Tonnen.

3. Wo fahren Gigaliner in Deutschland?
Deutschland hat im Dezember 2011 eine Ausnahmeverordnung erlassen, um Riesen-Lkw zu testen. Die Verordnung, die vom Bundesverkehrsministerium ohne Beteiligung der Bundesländer erlassen wurde, sieht vor, dass Gigaliner neben Autobahnen und Bundesstraßen auch auf einer Vielzahl von Landes-, Kreis- und Gemeindestraßen fahren dürfen. In folgenden Bundesländern fahren zur Zeit Riesen-Lkw: Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Hessen, Thüringen, Sachsen und Bayern. Seit dem Regierungswechsel in Schleswig-Holstein ist das Land skeptisch gegenüber dem Versuch. Die Testfahrten sind auf fünf Jahre – bis Ende 2016 – angesetzt. Zwei Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das einseitige Vorgehen des Bundes blieben erfolglos.

4. Was erhoffen sich die Befürworter?
Die Befürworter übergroßer Lkw werben gerne mit Umweltargumenten, in Wirklichkeit versprechen sie sich aber eine Kostenersparnis im Lkw-Transport von bis zu 30 Prozent. Zu den Befürwortern von übergroßen Lkw gehört der Verband der Automobilindustrie (VDA), der Bundesverband des Groß- und Außenhandels (BGA) und weitere Verbände des Straßentransportgewerbes.

5. Was befürchten die Gegner?
Die Gegner von übergroßen Lkw befürchten, dass durch die Verbilligung des Lkw-Verkehrs durch Gigaliner ein Anreiz für mehr Straßengüterverkehr geschaffen wird. Durch den Kostenvorteil der Gigaliner könnten Güter von umweltfreundlichen Verkehrsträgern zurück auf die Straße verlagert werden. Das Ergebnis wären mehr Lkw-Fahrten und eine größere Umweltbelastung. Zu den Gegnern von übergroßen Lkw zählen die in der Allianz pro Schiene zusammengeschlossenen Automobilclubs, Umweltverbände und Eisenbahnen sowie der Deutsche Städtetag und die Deutsche Polizeigewerkschaft. Auf EU-Ebene haben sich die Gegner zum Bündnis No Mega Trucks zusammengeschlossen.

6. Wie entscheidet die EU in Sachen Riesen-Lkw?
EU-Parlament und EU-Verkehrsminister haben in diesem Jahr den Vorschlag der EU-Kommission zurückgewiesen, grenzüberschreitende Fahrten von Riesen-Lkw zwischen Nachbarstaaten zu erlauben. Während in einigen Mitgliedsstaaten Versuche mit Riesen-Lkw laufen, zeigt die EU dem Gigaliner nun das Stoppschild und schlägt mit Sicherheitsverbesserungen und aerodynamischen Optimierungen bei den Fahrzeugmaßen einen grundsätzlich anderen Weg ein.