Fahrrad-Retter im Tandem

Es gibt Gegenstände, die sind viel mehr als nur eine Sache: Sie werden zu Lieblingsstücken, und wir hängen unser ganzes Herz daran. So geht es unserer Einsenderin Waltraud Pfeilschifter mit ihrem Fahrrad. Am 19. Juni 2024 will sie mit ihrem Sohn von Lüneburg nach Frankfurt am Main reisen. Ihr Fahrrad möchte sie eigentlich am Bahnhof abstellen, doch in der Hektik hat sie ihr Fahrradschloss zuhause vergessen. Sie würde ihr Lieblingsrad niemals ungesichert stehen lassen. Also nimmt sie es mit in den ICE – doch das Fahrradabteil ist voll, und die Reise droht frühzeitig zu enden. Zum Glück sind unsere Eisenbahner mit Herz in der Nähe.

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Frau Liebert und Herr Heinrich, Sie kannten sich bis zum 19. Juni 2024 gar nicht und haben trotzdem gemeinsam eine tolle Teamleistung vollbracht:
Sie haben dafür gesorgt, dass eine komplizierte Reise mit Fahrrad doch noch glücklich verlaufen ist. Wie kam es dazu?

Ulf Heinrich: Ich saß gerade gemütlich im Bordrestaurant des ICEs. Ich war noch gar nicht im Dienst, sondern auf dem Weg dahin. Mein Platz war ganz am Ende des Speisewagens, direkt am Übergang zum Fahrradabteil. Ich bekam mit, dass dort diskutiert wurde. Das Fahrradabteil war voll, und eine Reisende mit Kind, die ihr Rad mitnehmen wollte, sollte am nächsten Halt des Zuges aussteigen, weil kein Platz mehr im Fahrradabteil war. Ich bekam mit, dass die Frau zwar ein Fahrradticket gekauft, aber leider keinen Platz für ihr Rad reserviert hatte – und das muss man im ICE eigentlich machen. Die Zugchefin diskutierte mit der Reisenden, dass das Fahrrad am nächsten Halt in Celle raus müsse, und ihr Sohn fing an zu weinen.

Ach, das ist ärgerlich. Aber dann kamen Sie ins Spiel…

Ulf Heinrich: Genau. Also streng genommen hatte die Zugchefin ja recht: Ohne Reservierung darf man ein Fahrrad in einem vollen Abteil nicht mitnehmen. Aber ich wollte der Reisenden gerne helfen. Erst mal hat die Mitarbeiterin aus dem Bordbistro dem Sohn der Frau Schokolade gegeben, damit er sich wieder beruhigt. Und bei mir fingen die Gehirnzellen an zu rattern: Bevor ich Lokführer bei DB Fernverkehr wurde, habe ich bei Metronom gearbeitet. Ich wusste also, dass direkt hinter unserem ICE ein Metronom-Regionalzug fährt. Und weil es in diesen Zügen auch ein Fahrradabteil gibt, dachte ich mir, eigentlich könnte dieser Zug doch das Fahrrad bis Hannover mitnehmen.

Was für ein schlauer Gedanke! Aber wie konnten Sie als Fahrgast im ICE den Kollegen im Metronom erreichen und sagen: Da wartet ein Fahrrad, nehmt das bitte mit?

Ulf Heinrich: Ich wusste natürlich nicht, wer gerade Dienst hat auf dem Zug. Aber ich bin noch mit einem Kollegen von damals befreundet, und den habe ich angerufen und gesagt: Pass auf, es geht quasi um Leben und Tod – schau mal bitte, wer gerade Zugbegleiter im Metronom ist und gib mir den Kontakt. Und da sagte mein ehemaliger Kollege: Das ist die Iris Liebert, die kennst du glaub ich noch nicht, aber das ist ne ganz Liebe, und die wird dir helfen.

Eisenbahner mit Herz 2025 Bronze: Ulf Heinrich und Iris Liebert

Das klingt ja zu schön um wahr zu sein. Frau Liebert, was dachten Sie, als der Anruf bei Ihnen ankam?

Iris Liebert: (lacht) Ja, das war eigentlich total unpassend, weil ich voll im Stress war. Ich hatte gerade zwei Deutschlandticket-Betrüger gestellt und die Polizei informiert, dass sie die beiden Männer bitte in Hannover in Empfang nehmen soll. Und dann kamst du, Ulf, und wolltest, dass ich das Fahrrad am Bahnsteig in Celle rette. Und der Zug war quasi schon dabei, in Celle einzufahren. Da passierte wieder alles gleichzeitig.

Oh weia. Aber Sie haben nicht gesagt: Nee, passt gerade nicht, sondern Sie haben die Zähne zusammengebissen und geholfen. Haben Sie das Fahrrad in Celle denn gleich gefunden?

Iris Liebert: Naja, so viele Fahrräder stehen zum Glück nicht ohne Herrchen oder Frauchen in Celle am Bahnsteig. Ich habe meinen Lokführer informiert, bin dann über den halben Bahnsteig gerannt, habe mir das Fahrrad geschnappt, bin ans andere Ende des Zuges in den Fahrradwaggon gesprintet, habe es dort abgestellt – und weiter ging die Fahrt. Ulf hatte mir noch gesagt, dass er mit der Fahrradbesitzerin dann in Hannover auf mich wartet.

Das nenne ich Einsatz! Sagen Sie, wie lange stand denn das Fahrrad eigentlich unbeaufsichtigt am Bahnsteig in Celle?

Ulf Heinrich: Das waren nur 6 oder 7 Minuten. Der Metronom kommt direkt hinter dem ICE am selben Bahnsteig an.

Ok, überschaubares Risiko. Dann war das Fahrrad also sicher im Metronom, und bei Ihrer Ankunft in Hannover hat sich dann bestimmt jemand ordentlich gefreut?

Iris Liebert: Ja, die Frau hat sich gleich sehr herzlich bedankt und uns erzählt, wie wichtig ihr das Fahrrad ist und dass ich mir gar nicht vorstellen könnte, wie viel es ihr bedeutet, weil ihr Mann es ihr geschenkt hat. Bis dahin wussten wir ja nicht, wie wichtig der Frau das Fahrrad ist. Ulf und ich haben einfach geholfen, weil wir gerne helfen.

Ulf Heinrich: Genau, im Grunde haben wir beide nur unseren Job gemacht. Mir war klar, dass die Reisende ihr Rad unmöglich für ein paar Stunden ohne Schloss in Celle stehen lassen kann, das wäre schnell weg gewesen. Auch wenn ich Iris zu dem Zeitpunkt noch nicht kannte, wusste ich, dass sie mitmachen würde, denn wir Eisenbahner sind eine Familie und helfen uns in der Regel immer gegenseitig, egal für wen wir arbeiten.

Nun bekommen Sie den Bronze-Preis und dürfen sich Eisenbahner/in mit Herz nennen. Wie geht’s Ihnen damit?

Iris Liebert: Also ich freu mich da richtig doll drüber. Ich hab das gar nicht erwartet, weil meine Kollegen und ich ja oft Fahrgästen helfen. Umso mehr hat mich das jetzt gefreut.

Ulf Heinrich: So ging es mir auch: Ich war erst mal total überrascht. Aber es bedeutet mir wirklich viel, dass ich jetzt Eisenbahner mit Herz bin.