Eisenbahnerin mit Doppelherz

Anja Szeglat ist seit fast 14 Jahren Zugchefin bei der Deutschen Bahn – und damit, wie sie lachend sagt, quasi Mädchen für alles. Ihren Job macht sie mit Herz und auch mit sehr viel Köpfchen. Ihrem Einfallsreichtum ist es zu verdanken, dass Hunderte Fahrgäste nicht in Kassel-Wilhelmshöhe strandeten, sondern doch noch ans Ziel kamen.

Anja Szeglat ist die Frau, die einen Zug schrumpfen kann. Damit hat sie die Reisenden und die Jury des Wettbewerbs gleichermaßen beeindruckt. Die 40-Jährige ist die erste Preisträgerin, die Gold gewinnt und zugleich zum Publikumsliebling gewählt wurde.

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Frau Szeglat, bevor wir über Ihre Zugschrumpfung reden, lassen Sie uns darüber sprechen, wie Ihr Tag im Juni 2023 begonnen hat.

Anja Szeglat: Uff, das war ziemlich schrecklich. Das war der Morgen, an dem mein Kater Archie tot auf der Straße gefunden wurde. Ich war unendlich traurig, hatte aber gar keine Zeit zu trauern, weil ich ja zur Arbeit musste. Also habe ich Archie schnell im Garten begraben und habe mich mit dem Regional- zug auf den Weg nach Hamburg gemacht. Ich war so durch den Wind, dass ich leider zu spät bemerkt habe, dass ich quasi in einer Bierlache saß. Ich habe kurz geflucht, mich trockengeföhnt, und los ging mein Dienst im ICE.

Das klingt nach unglaublich schlechten Voraussetzungen. Andere hätten ihren Frust sicher an den Fahrgästen ausgelassen…

Anja Szeglat: Ja, aber ich habe die Zähne zusammengebissen. Dann ging es allerdings noch weiter mit den Hiobsbotschaften. Auf halbem Weg stellte sich heraus, dass es krankheitsbedingt nach einem Schichtwechsel gar nicht genügend Personal für meinen sehr langen Zug gab. Ich stand plötzlich als einzige Zugbegleiterin für 13 Wagen da und dachte: Mist.

Oh weia. Was können Sie denn in so einem Fall überhaupt tun?

Anja Szeglat: Tja, also eigentlich müsste ich in diesem Fall den Fahrgästen sagen: Sorry Leute, unser Zug endet heute leider in Kassel-Wilhelmshöhe. Denn als Zugchefin trage ich auch die Verantwortung für die Sicherheit im Zug. Und ich kann alleine unmöglich die Fahrgäste in 13 Wagen im Blick haben. Alle Fahrgäste aussteigen zu lassen und sie auf den nächsten Zug zu verweisen, war aber auch keine gute Option. Denn ich wusste, dass der nächste Zug kleiner war und all die Fahrgäste niemals Platz darin gefunden hätten. Also habe ich gegrübelt. Ich war nicht bereit, einfach aufzugeben. Und dann kam mir die Idee: Was, wenn ich einfach den Zug schrumpfe?

Das klingt ein bisschen nach „Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft“. Ich dachte immer, schrumpfen funktioniert nur im Film?

Anja Szeglat: (lacht) Also mein Zug war zum Glück nicht voll ausgelastet. Ich habe also überlegt, die Menschen aus 13 Wagen einfach auf sechs Wagen zu verteilen – den Zug also gewissermaßen kürzer zu machen und dann die leeren Bereiche abzuschließen. Damit hatte ich dann einen sehr viel übersichtlicheren, geschrumpften Zug.

Moment – das klingt jetzt aber sehr viel leichter, als es tatsächlich war, oder? Wie haben Sie denn die Fahrgäste dazu bewegt, sich in die sechs Waggons zu verteilen?

Anja Szeglat: Ich habe die ganze Zeit Durchsagen gemacht und die Fahrgäste auf dem Laufenden gehalten. Sie kannten also unser Personalproblem bereits. Dann habe ich ihnen gesagt: Passt auf, ich habe eine Lösung. Wir können fahren, wenn ihr euch einfach in folgenden Wagen trefft. Zum Glück hatte ich noch Mitarbeiter aus dem Bordbistro im Zug. Die haben den Fahrgästen dabei geholfen, ihr Gepäck in die anderen Waggons zu transportieren. Die Lokführerin hat dabei geholfen, die Fahrräder umzustellen – ja, und dann haben wir uns gewissermaßen alle in der Mitte des Zuges getroffen.

Anja Szeglat ist Eisenbahnerin mit Herz 2024

Wahnsinn. Und es gab kein Gemecker bei den Fahrgästen?

Anja Szeglat: Nein, die fühlten sich glaube ich ganz gut mitgenommen. Ich musste dann ja einmal durch den ganzen Zug laufen, auch um die leeren Wagen abzuschließen. Und als ich dabei durch die inzwischen gut gefüllten mittleren Wagen kam, haben mir die Fahrgäste sogar applaudiert. Mich hat das so berührt an diesem Tag, der so unangenehm begonnen hatte. Ich habe dann vor Rührung sogar geweint.

Das ist doch total verständlich. Wie ging es dann für Sie und die Fahrgäste weiter?

Anja Szeglat: Also wir haben mit ungefähr 40 Minuten Verspätung Kassel-Wilhelmshöhe verlassen, und der Rest der Fahrt verlief dann problemlos. Die Verspätung hat niemanden so richtig gestört. Denn in Kassel-Wilhelmshöhe zu stranden, wäre ja noch unangenehmer gewesen. Alle haben sich gefreut, dass wir weiterfahren konnten. Es hat sich tatsächlich niemand bei mir beschwert.

Kein Wunder, dass ein Fahrgast Sie als Eisenbahnerin mit Herz vorgeschlagen hat. Sie haben sowohl die Jury von sich überzeugt als auch den Publikumspreis abge-staubt – das gab es noch nie in der Geschichte des Wettbewerbs Eisenbahner/in mit Herz. Wie geht es Ihnen damit?

Anja Szeglat: Ich freue mich wirklich sehr darüber. Es bedeutet mir eine Menge! Für mich ist diese Auszeichnung quasi der Oscar der Eisenbahner! (lacht) Ich mache meinen Job wirklich mit Herz. Ich glaube, anders geht es auch nicht. Ich fahre zum Beispiel regelmäßig die Strecke nach Dänemark, und dabei überqueren wir mit unserem Zug die Rendsburger Hochbrücke über dem Nord-Ostsee-Kanal. Jedes Mal schaue ich aus dem Fenster und staune über Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge, ich freue mich über die Erlebnisse mit den Reisenden – man muss das einfach mit Herzblut machen und all die vielen Eindrücke zu schätzen wissen, sonst ist man einfach nicht im richtigen Job.

Liebe Frau Szeglat, danke für das Gespräch – und machen Sie bitte mit genauso viel Herz weiter.