Bronze: Alexandra Schertler

Eisenbahner mit Herz – Bronzemedaille 

Krankenpflege de luxe in der BOB

Auf der Fahrt von Tegernsee nach München leidet Marianne Meißner plötzlich unter Bauchweh und Übelkeit. Als sie an der Tür steht, um Luft zu schöpfen, wird BOB-Zugbegleiterin Alexandra Schertler aufmerksam.

Sie bringt die Frau in die erste Klasse, sorgt dafür, dass sie sich hinlegen kann. Während der Fahrt sieht sie mehrfach nach der Kranken. Die Kundin ist „sehr begeistert“ und hätte eine solche Fürsorglichkeit bei der Bahn niemals erwartet.

Das Porträt

Im schönsten Bayerisch

Es muss schon hart auf hart kommen, damit BOB-Zugbegleiterin Alexandra Schertler die Geduld verliert. Als sie auf der Fahrt nach München auf zwei Russen trifft, die ohne Fahrkarte und mit den Füßen auf den Sitzen nach eigenem Bekunden zum „Ficken nach Deutschland“ fahren, sagt sie nur ein Wort: „Raus!“.

Auch andere Fahrgäste tanzen ihr nicht so leicht auf der Nase herum: In ihren Schülerzügen herrscht kein Saustall und überhaupt kann sich die 40-Jährige gut durchsetzen. Dass sie einen Geisteskranken, der sie mit einem Nagel abstechen will, im fahrenden Zug mit Kampfsporttechnik unschädlich macht, glaubt jeder, der den festen Händedruck der gelernten Zahnarzthelferin erlebt hat.

Genauso zupackend ist Alexandra Schertler, wenn ihre Fahrgäste Hilfe brauchen. Zwei Mädels, die zum Skifahren in die Berge wollen, aber ein Ticket haben, das erst ab neun Uhr gilt: Eine Notiz auf der Fahrkarte, und die beiden fahren mit. Ein kleiner Junge, dem ein Euro Fahrgeld fehlt: die Zugbegleiterin zückt ihr eigenes Portemonnaie und begleicht den Rest.

Dass trotz der vielen großen und kleinen Abenteuer die Welt von Alexandra Schertler noch in Ordnung ist, betont sie in schönstem Bayerisch. Mit einem Bergpanorama vor dem Küchenfenster in ihrem Haus in Tegernsee geht der Tag los, auf ihrer Strecke Tegernsee -München kennt sie alle ihre Fahrgäste mit Namen. Und die Kollegen? In der BOB-Familie ist Alexandra Schertler nur „die Alex“ – eine echte Eisenbahnerin mit Herz eben.

Das Interview

„Da überlege ich nicht lange“

BOB-Zugbegleiterin Alexandra Schertler über Kampfsport im fahrenden Zug, einen kleinen Jungen mit zu wenig Fahrgeld und ihren zahnmedizinischen Blick auf die Welt

Sie sind Eisenbahnerin mit Herz geworden, weil Sie einen Blick für Menschen haben. Wie war das mit der Reisenden, der in der BOB schlecht geworden ist?
Ich habe den Zug in Holzkirchen abgefertigt. Da sah ich die Reisende japsend in der Tür stehen. Es war keine große Kunst zu bemerken, dass es ihr schlecht ging. Sie war nämlich eher grün als weiß im Gesicht. Ich fragte sie, ob ich einen Arzt und den Krankenwagen rufen solle, aber das wollte sie nicht. Sie war mit drei Freunden unterwegs und setzte sich wieder zu ihrer Gruppe zurück. Aber ich habe gesehen, dass es nicht ging. Sie brauchte einfach Ruhe. Also habe ich sie in die erste Klasse gebracht, habe ihr die Füße hochgelegt, die Schuhe ausgezogen, die Jacke unter den Kopf gelegt, etwas zu trinken besorgt und immer wieder nach ihr gesehen.

Gleich hinter der ersten Klasse fuhr an diesem Tag ein Junggesellenabschied mit, die grölten und waren laut. Ich bin hingegangen, habe gesagt, „jetzt ist Ruhe, der Dame geht’s nicht gut“, da war es im selben Augenblick mucksmäuschenstill. Als wir in München ankamen, ging es ihr allerdings nicht besser. Sie zitterte und war in keiner guten Verfassung. Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir dann einen Arzt gerufen hätten, aber ihre Freunde versprachen, sie zu begleiten und die Nacht bei ihr zu bleiben.

Die Kundin schreibt von Ihrer „extremen Fürsorglichkeit“, die sie überrascht hätte. Sehen Sie das auch so?
Eigentlich habe ich nur das gemacht, was selbstverständlich war. Was jeder Zugbegleiter oder sogar jeder Fahrgast auch hätte tun müssen. Es gibt einfach diese Situationen, da überlege ich nicht lange. Da handele ich einfach.

Aber irgendeine Handlung reicht nicht, es muss schon die richtige sein.
Wahrscheinlich hilft mir dabei mein früherer Beruf. Ich bin eigentlich gelernte Zahnarzthelferin und in den 23 Jahren in der Praxis hatte ich viele Patienten, die im Stuhl das Bewusstsein verloren haben. Angstpatienten, die saßen da und auf einmal rutschten sie weg.

Sie sehen also den Patienten im Fahrgast?
Das kann man schon so sagen. Dieser Blick bleibt. Aber besonders gut schaue ich bei Zähnen hin. Meine beiden Töchter haben mit 18 und 15 Jahren noch kein einziges Loch in ihrem Gebiss.

Wenn Sie früher Zug gefahren sind, wie haben Sie da die Zugbegleiter erlebt?
Sehr unterschiedlich. Es gab die, die sagten „Guten Morgen“ und gingen weiter und andere waren mir sofort sympathisch. Genauso ist das jetzt bei meinen Fahrgästen. Ich habe schwierige Fahrgäste, da bin ich freundlich aber nicht mehr. Bei anderen Fahrgästen kenne ich den Namen, die Familie, den ganzen Hintergrund. 
 
Wie viele kennen Sie denn mit Namen?
Bei den Pendlerzügen in der Früh kenne ich jeden einzelnen. Das ist aber auch kein Wunder, schließlich wohne ich in Tegernsee. Ich bin in der Region geboren und aufgewachsen, meine Kinder gehen hier zur Schule.
 
Der Fahrgast, der Sie eben scherzhaft um ein Autogramm gebeten hat, wer war das? 
Der arbeitet als Staatsanwalt in München und kümmert sich um Kapitalverbrechen. Wir haben auch viele Polizisten auf der Strecke. Wenn es Ärger gibt, weiß ich sofort, ob gerade ein Polizist in Zivil mitfährt.
 
Haben Sie solche Hilfe schon einmal gebraucht?
Es gibt schon gefährliche Situationen. Das schlimmste, was ich je erlebt habe, war ein Fahrgast, der mich fast abgestochen hätte. Er stieg in Holzkirchen zu und pöbelte die Reisenden an. Eine Dame lief durch den Zug und rief mich zu Hilfe. Als ich dazu kam, zeigte er gerade auf seine Sporttasche. Da hätte er eine Waffe drin, mit der er uns alle umbringen würde. Ich schob mit dem Fuß seine Tasche weg, aber er zog plötzlich einen langen Zimmermannnagel. Wenn ich da nicht reagiert hätte, säße ich heute nicht mehr hier. 
 
Was haben Sie gemacht? Ihre Lehre als Zahnarzthelferin hat Ihnen da bestimmt nichts genützt. 
Nein, aber meine Kampfsporterfahrung. Mein Mann und meine Kinder sind aktive Kämpfer. Immer wenn sie zu Hause üben wollten, musste ich das Opfer spielen. Als ich dann den Nagel am Hals hatte, habe ich einfach zugepackt: im fahrenden Zug habe ich den Fahrgast umgelegt, ihn am Boden fixiert und ihm den Nagel abgenommen. An der nächsten Haltestelle wartete schon die Polizei auf ihn. Trotzdem war das mein schlimmstes Erlebnis. 
 
Und Ihr nettestes?
Einmal war ein kleiner Junge im Zug. Dem fehlte ein Euro Fahrgeld. Damit er seine Fahrkarte bekam, habe ich den Euro eben dazugetan. Zwei Tage später wartete am Bahnhof in München eine Frau, mit Pralinen in der Hand. Das war seine Mutter. Ich fand’s eigentlich selbstverständlich, aber sie nicht. 
 
Worauf sind Sie denn bei sich selbst stolz?
Ich denke, ich habe eine gute Menschenkenntnis. Ich merke, wenn einer versucht, mir einen Bären aufzubinden. Aber ich sehe auch, wenn ein Fahrgast nicht weiter weiß oder es ihm schlecht geht.
 
Deshalb sind Sie auch „Eisenbahnerin mit Herz“ geworden. Haben Sie das erwartet?
Nein, als ich es erfahren habe, war ich sprachlos. Für mich ist Helfen normal. Trotzdem freut mich diese Wertschätzung meiner Arbeit.

Die Einsendung der Kundin

Unerwartete Fürsorge

Dieser Wettbewerb passt wunderbar für meine Geschichte, welche ich am vergangenen Wochenende erlebt habe. Ich fuhr am Samstag, 28.01. mit der Bob (18.57 Uhr) mit Freunden von Tegernsee Richtung München Hbf. Auf der Fahrt klagte ich plötzlich über Bauchschmerzen und Übelkeit.

Bei einem Zwischenhalt (leider weiß den Bahnhof nicht mehr) ging ich zur Tür um frische Luft zu tanken und dann war auch schon Ihre Mitarbeiterin, Frau Alexandra Schertler bei mir. Sie erkundigte sich nach meinem Wohlbefinden und fragte, ob Sie mir behilflich sein könne. Sie begleitete mich kurz zu meinem Platz, um mich dann in die erste Klasse des Zuges zu bringen, damit ich meine Ruhe habe und meine Füße hochlegen kann. Frau Schertler war sehr, sehr fürsorglich und half mir sogar beim Schuhe ausziehen. Während dem Rest der Fahrt schaute sie noch zweimal nach mir und war sofort zur Stelle, als wir München erreichten. Sie half mir beim Schuhe anziehen und begleitete mich zur Tür. Dort fragte sie meine Freunde, ob mich denn jemand heim begleiten würde, was bejaht wurde. Erst dann war Frau Schertler wirklich beruhigt.

Ich möchte sagen, dass ich ein so dermaßen freundliches und fürsorgliches Verhalten von Bahnangestellten niemals erwartet hätte und wirklich sehr begeistert bin, dass Ihre Mitarbeiter sich so toll um Fahrgäste kümmern. Das Verhalten von Frau Schertler war einfach nur super positiv.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einen weiteren Kollegen an dem Bahnsteig, wo ich frische Luft tankte, erwähnen. Leider ist mir der Name nicht bekannt. Er fragte, ebenfalls sehr besorgt, ob ich einen Arzt benötige, oder ob die Fahrt fortgesetzt werden kann. Vielleicht erinnert sich ja Frau Schertler noch?! Ich bitte Sie freundlich, meine Nachricht an Frau Schertler weiterzugeben.

Marianne Meißner,
München, Bayern

Die Würdigung der Jury

Den Menschen sehen

Wer im Kunden den Menschen sieht, leidet mit. Uns hat imponiert, wie die BOB-Zugbegleiterin sich geradezu mütterlich um die gesundheitlich angeschlagene Passagierin gekümmert hat. Soviel Einfühlungsvermögen gepaart mit medizinischem Sachverstand ist selten.