"Wir wollten Stillstand durchbrechen!"

Interview mit Carmen Schwabl, Geschäftsführerin der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachen (LNVG).

Geht voran: Die LNVG ist Vorreiterin beim Einsatz von Wasserstoffzügen.

Die LNVG hat beschlossen, keine Dieselfahrzeuge mehr anzuschaffen. Was sind die Beweggründe dafür, als erstes Bundesland aus dem Diesel auszusteigen?

Wir wollten Stillstand durchbrechen! In Deutschland wird ja schon lange über die Energiewende gesprochen. Wir hatten aber den Eindruck, dass im Schienenpersonennahverkehr niemand wirklich ein Projekt begonnen hatte, um Alternativen zum Dieselantrieb zu finden. Deshalb sind wir mit der Initiative, Wasserstoff einzusetzen, auf die Industrie zugegangen. Unser Ziel war eine echte Alternative zum Diesel zu bieten, marktreif zu machen und in einem ersten Netz im täglichen Fahrgastbetrieb einzusetzen.

Sie haben ja dann auch den ersten Wasserstoffzug im Probebetrieb gehabt – wie kommt es zu dieser niedersächsischen Vorreiterrolle?

Wie gesagt, die Technik zu nutzen, war unsere Idee. Darauf sind wir etwas stolz, es ist ja nicht ganz selbstverständlich, dass ein Unternehmen der öffentlichen Hand eine technologische Entwicklung dieser Tragweite auslöst. Wir sind bescheidene Leute, aber das müssen wir so sagen: Weltpremiere in Niedersachsen! Was spricht in Niedersachsen für Wasserstoff als Antriebsenergie? Wir haben die Nordsee, wir haben Wind. Und wir haben große Kavernen für die Zwischen-Speicherung. Zunächst nutzen wir Wasserstoff aus verschiedenen Quellen, auch solchen, der bei der Industrie quasi als Abfall anfällt. Aber immer mehr Wasserstoff soll unser Tankstellenbetreiber Linde aus Windstrom durch Elektrolyse vor Ort in Bremervörde erzeugen. Wir sehen unser Projekt – von der Beschaffung der Züge, über Instandhaltung, bis zur Energieversorgung – als wegweisendes, ganzheitliches System.

Wann fahren dann die letzten Dieselzüge durch Niedersachsen?

Das kann ich natürlich nur für die Fahrzeuge der LNVG beantworten. Eisenbahnfahrzeuge haben eine Lebensdauer von rund 30 Jahren. Bis Anfang der 2040-er Jahre werden voraussichtlich noch Dieseltriebwagen fahren. Aber: Der Bau von 14 Brennstoffzellenfahrzeugen, die wir ab Frühjahr 2022 bei den Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser einsetzen werden, hat begonnen. Bereits bis Mitte der 2020-er Jahre kaufen wir wieder eine große Zahl neuer Triebwagen: Da ersetzen wir 24 Dieselfahrzeuge. Das könnten nach heutiger Kenntnis Fahrzeuge mit Brennstoffzellenantrieb werden, aber auch Fahrzeuge mit Akku-Antrieb. Wir prüfen in den nächsten Jahren, welche Lösung wir auf den jeweiligen Netzen wählen werden. Übrigens bleibt auf lange Sicht gesehen die effizienteste Lösung für den Energieeinsatz die Elektrifizierung von Strecken. Darauf haben wir allerdings keinen Einfluss, das ist Sache des Bundes.

Wie kann diese Ankündigung mit dem bestehenden Netz und dem auf dem Markt verfügbaren Zugmaterial umgesetzt werden?

Da sehen wir keine Schwierigkeiten. Die Industrie arbeitet ja an verschiedenen Techniken. Die Fertigung unserer ersten Brennstoffzellenfahrzeuge läuft. Uns freut natürlich, dass sie bei Alstom im niedersächsischen Salzgitter gebaut werden. Auch die Bauarbeiten für die weltweit erste Wasserstofftankstelle für SPNV-Fahrzeuge haben bereits begonnen. Wir rechnen mit einer Inbetriebnahme zum Herbst 2021.            

Was raten Sie anderen Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen, die im Nahverkehr weg von fossilen Brennstoffen kommen wollen?

Die werden sich schön bedanken, wenn wir anfangen, ungefragt Ratschläge zu geben. Da ist ja in der Branche auch längst was in Bewegung. Es gibt immer mehr E-Busse, auch Versuche mit Wasserstofffahrzeugen. Wir haben schon beim Probebetrieb mit den Zügen ein unglaubliches Interesse gesehen: Es kamen unter anderem Delegationen aus Russland, Japan, Malaysia, Kanada, England, Chile, Südkorea und aus Frankreich. Einer der Züge wird gerade in Österreich getestet. Ein Test in den Niederlanden war ebenfalls erfolgreich. Es wäre schön, wenn es in Deutschland auch einen Pilotversuch mit Akku-Fahrzeugen geben würde. Das ist doch der normale Weg: Neuerungen anschauen und ausprobieren, ob sie sich  vor Ort im täglichen Betrieb beweisen.

Vielen Dank für das Interview!

 

Carmen Schwabl ist Geschäftsführerin der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachen (LNVG). Die LNVG ist Aufgabeträgerin für den SPNV in weiten Teilen des Landes und Fördermitglied der Allianz pro Schiene. Pro Jahr bestellt die Gesellschaft Zugfahrten  im Regionalverkehr für über 300 Millionen Euro. An die Eisenbahnunternehmen in Niedersachsen vermietet die LNVG 383 Lokomotiven, Triebwagen und Waggons.