Reisende in Europa sind viel beweglicher als erwartet

EU-Projekt USEmobility: Hohe Dynamik auf dem Verkehrsmarkt

EU-Projekt USEmobility: Hohe Dynamik auf dem Verkehrsmarkt

Berlin. Die Menschen in Europa sind überraschend beweglich in der Wahl ihres Verkehrsmittels. Etwa die Hälfte aller Reisenden aus sechs europäischen Ländern hat im Laufe der vergangenen fünf Jahre die eigenen Mobilitäts-Routinen geändert und einen neuen Verkehrsmittel-Mix ausprobiert. Das hat das EU-Projekt USEmobility ergeben, in dessen Rahmen sieben Partner aus fünf Ländern über einen Zeitraum von 26 Monaten das Wechselverhalten von Fahrgästen erforscht haben. „Mit der Frage nach den realen Wechselgründen haben wir wissenschaftliches Neuland betreten“, sagte die Projektkoordinatorin Jolanta Skalska vom deutschen Verkehrsbündnis Allianz pro Schiene auf der USEmobility-Abschlusskonferenz am Mittwoch in Berlin. „Der Fokus auf das Nutzerverhalten hat sich gelohnt“, sagte Skalska. So haben die Verkehrsforscher herausgefunden, dass die Menschen viel häufiger als bisher angenommen ihre eingeschliffene Verkehrsmittelwahl überprüfen. „Jede neue Lebenssituation, vom Schulweg über den Beginn einer Ausbildung, bis hin zum Jobwechsel oder dem Eintritt ins Pensionsalter schafft den Raum für einen Wechsel“, fasste Skalska die Ergebnisse der großangelegten repräsentativen Befragung in Deutschland, Österreich, Ungarn, Kroatien, den Niederlanden und Belgien zusammen. So erstaune es auch nicht, dass die Hälfte aller Befragten im Laufe von fünf Jahren einen solchen Wechsel tatsächlich vollzogen hätten.

Neben der individuellen Lebenssituation hat erwartungsgemäß die Qualität der Alternative einen erheblichen Einfluss auf einen Wechsel. So bestätigten die Forscher im Rahmen von USEmobility, dass „harte Faktoren“ wie leichte Haltestellenerreichbarkeit, ein günstiger Takt oder niedrige Ticketpreise entscheidende Faktoren dafür darstellen, dass Reisende vom Auto zum öffentlichen Verkehr gewechselt sind, während „weiche Faktoren“ wie Überfüllung von Zügen oder ein Mangel an Sauberkeit häufig als Gründe genannt wurden, warum Reisende dem öffentlichen Verkehr den Rücken kehrten. Mit 36 Prozent überraschend hoch war jedoch der Anteil der Wechsler, bei deren Entscheidung für den öffentlichen Verkehr der Umweltvorteil eine maßgebliche Rolle gespielt hatte.

Den hohen praktischen Gehalt der USEmobility-Daten betonte Andreas Geißler von der Allianz pro Schiene. „Unsere Befragung erlaubt es, strategische Handlungsempfehlungen für Verkehrsunternehmen, Politik und Verbände abzugeben“, sagte Geißler auf der Abschlusskonferenz am Mittwoch. Den Unternehmen könne die EU-weite Befragung als Ermutigung dienen, noch zielgerichteter als bisher auf einzelne Kundengruppen zuzugehen. „Eine enge Kooperation von Verkehrsunternehmen mit Meldeämtern, Arbeitgebern oder Schulen könnte dazu dienen, Menschen direkt in einer Umbruchsituation ihres Lebens anzusprechen“, sagte Geißler. Ein interessanter Ansatzpunkt sei auch, dass die meisten Wechsler „Mobilitätsmixer“ seien. Unternehmen könnten darauf verstärkt mit Angeboten für Tür-zu-Tür-Mobilität reagieren, etwa durch Car-Sharing oder Leihfahrräder. Geißler warnte davor, die hohe Dynamik nur als Chance und nicht auch als Herausforderung zu sehen. „Kunden, die ihr Verkehrsmittel pragmatisch wählen, sind zugleich auch anspruchsvoll, weil sie sich Alternativen offen halten.“ Die Busse und Bahnen seien also gut beraten, nicht nur neue Kunden zu gewinnen, sondern auch viel Kraft in die Bindung der Stammkunden zu stecken.

Auch für die Politik halte USEmobility Orientierung bereit, sagte Geißler. „Für die Reisenden sind klare politische Signale ein A und O. Eine echte Strategie für die Personenmobilität der Zukunft muss die Verkehrsträger besser vernetzen und Anreize zum Umstieg auf den öffentlichen Verkehr schaffen.“ Die Zeichen deuteten auf einen Wertewandel in der Mobilität, der das Wachstum des öffentlichen Verkehrs beschleunigen werde. „Dafür muss die Politik jetzt schon die Infrastruktur und die nötigen Kapazitäten bereitstellen.“ Den Verbänden komme dabei eine Brückenfunktion zu, zwischen Politik, Wirtschaft und dem einzelnen Fahrgast zu vermitteln. „Gerade Fahrgast- und Umweltverbände sollten ihr Expertenwissen einbringen und klare politische Zielsetzungen im Sinne der Reisenden einfordern.“

Das EU-Projekt USEmobility fand unter der Projektleitung von der Allianz pro Schiene statt. Die Befragung zum Wechselverhalten führte das Hamburger Meinungsforschungsinstitut Quotas durch. Die Hamburger Consulting Gesellschaft BSL erarbeitete den Forschungstand und die nationalen Trends bei der Verkehrsmittelwahl von Reisenden. Die European Passengers Federation aus Belgien entwarf das Workshop-Konzept, um mit den drei Zielgruppen (Politik, Unternehmen, Verbände) Zukunftsvisionen für den Verkehr in Europa für 2020 und 2050 zu diskutieren. Die Clean Air Action Group aus Ungarn war zuständig für Kommunikation und das Web. VCÖ – Mobilität mit Zukunft aus Wien und die kroatische Savez za Zeljeznicu (Allianz pro Schiene) übernahmen die Verbreitung der Projekt-Ergebnisse in ihren Ländern.


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