Geschäftsführer zwei Monate auf Interrail-Tour

Viele, die in den vergangenen Monaten mit der Geschäftsstelle der Allianz pro Schiene Kontakt hatten, haben es mitbekommen: Unser Verband war zwei Monate ohne unseren Geschäftsführer Dirk Flege. Er hat Europas Schienen mit einem Interrail-Ticket erkundet. Weil seine Reiseerfahrungen überall auf großes Interesse gestoßen sind, haben wir als Team der Geschäftsstelle unseren Chef im Interview gebeten, ein paar seiner Eindrücke mit uns und mit Ihnen zu teilen.


Wie kamst du auf die Idee, zwei Monate Interrail zu machen?

Im Herbst vergangenen Jahres hat mir ein Journalist begeistert von seiner gerade beendeten dreimonatigen Interrail-Reise erzählt und gesagt, es sei sein bester Urlaub überhaupt gewesen. Da habe ich mir gedacht: Ach, Interrail könntest Du nach 30 Jahren eigentlich auch mal wieder machen.

Eine schöne Idee, und ja irgendwie auch eine mutige. Das macht man als Geschäftsführer schließlich nicht alle Tage. Wie war das für dich, dein Team zwei Monate allein zu lassen?

Ungewohnt. Ich habe noch nie in meinem Berufsleben so lange am Stück Urlaub gemacht. Aber ich war mir sicher, dass Ihr das im Team wunderbar wuppen werdet. Und mein Vertrauen ist nicht enttäuscht worden.

Die erste Tour führte Dirk Flege in den Osten Europas.

Wo genau warst du überall in den zwei Monaten?

Ich habe in 62 Tagen 16 Länder bereist. Vom Start und Ziel Berlin aus gesehen geografisch ein Viereck bis zur Ostseeküste in Estland, zum Schwarzen Meer in Bulgarien und zum katalanischen Mittelgebirge in Spanien. Insgesamt 15 EU-Staaten und die Schweiz. Da von den 27 EU-Staaten überhaupt nur 25 eine Eisenbahn haben, konnte ich bei meiner Reise wohl das Maximum aus dem Interrail-Pass rausholen Mehr geht nicht, wenn man nicht nur im Zug sitzen will. Immerhin täglich 250 Kilometer Zugfahrt waren es im Schnitt. Eine Art Speed-Dating mit Europas Hauptstädten und Landschaften.

Hattest du nicht zwischendurch die Sorge, dass du zwischen Abiturienten und Studierenden den Altersschnitt bei Interrail deutlich anhebst?

Interrailer erkennt man ja nicht unbedingt am Aussehen. Ich zum Beispiel war mit Rollkoffer unterwegs. Und umgekehrt hat nicht jeder Backpacker ein Interrail-Ticket. Insofern kann ich über den Altersschnitt der Interrailer nur Vermutungen anstellen. Ich schätze mal, dass ich vom Alter her schon die große Ausnahme war. Immerhin habe ich zwei Interrailer getroffen, die einige Jahre älter waren als ich: einen Briten im Eurocity von Triest nach Ljubljana, der mit Anzug in der ersten Klasse reiste und im Zug von Riga nach Vilnius einen Rentner aus Schwaben, der nachts unter freiem Himmel schlief.

Was für eine Vielfalt. Und jetzt Hand aufs Herz: Wie viele Stunden Verspätung hattest du? Und wie oft musstest du deine Reisepläne umwerfen?

Ich habe die Verspätungsstunden nicht gezählt. Wenn die Zugreise als solche Teil des Urlaubs ist und Du mit dem Interrail-Pass überall hinfahren kannst, wo Du willst, bekommst Du ein sehr entspanntes Verhältnis zu Verspätungen. Sie sind dann eigentlich egal. Ich bin letztendlich immer da angekommen, wo ich hinwollte. Insofern, und das ist die gute Nachricht: Du kannst mit der Bahn verlässlich eine Europareise planen.

Wie hat sich durch deine Reise die Sicht auf die deutsche Schiene verändert?

Zum Positiven. Im Vergleich zu fast allen anderen EU-Staaten haben wir ein dichtes Schienennetz und ein großes Angebot an Zugverbindungen. Wo wir im EU-Vergleich nicht gut sind, das ist zum einen die Pünktlichkeit und zum anderen der Zustand der kleinen Bahnhöfe auf dem Land.

Du warst ja eigentlich als Privatmensch auf Reisen. Den bulgarischen Verkehrsminister hast du aber nicht mal eben zufällig im Bordbistro getroffen?

Nein, der Kontakt kam über den Verband der Bahnindustrie in Deutschland zustande. Vor meiner Abreise hieß es, man kenne den Minister gut und könne einen Termin organisieren. Ich habe Ja, gesagt, aber nicht damit gerechnet, dass der Termin zustande kommt. Erst als ich im Zug von Bukarest nach Sofia saß, kam eine SMS, der Vize-Minister würde mich am nächsten Tag um 11 Uhr im Ministerium erwarten. Ich hatte keinerlei Business-Klamotten dabei und habe mir dann von einem Freund, bei dem ich in Sofia übernachtet habe, wenigstens vernünftige Schuhe geliehen.

Der zweite Teil der Reise führte in den Süden Eurpas.

Was war dein schönstes Reiseerlebnis auf der ganzen Route?

Oh, da gibt’s nicht das eine Erlebnis, was alles andere toppt. Schön war die Vielzahl toller Erlebnisse – in den Bergen, am Meer, in den Städten, im Zug. Ich glaube, soviel Neues wie in diesem Urlaub habe ich so komprimiert noch nie erlebt.

Was wären deine drei Bahn-Highlights, die du von deiner Reise hier auch gerne sehen würdest?

In allen Nahverkehrszügen schnelles, funktionierendes WLAN – so wie im Baltikum.

In den Bahnhöfen mehr Esprit und Kultur – so wie in Frankreich, wo es häufig ein Klavier zum Musizieren gibt oder tolle Konzepte für Sitzgelegenheiten wie in Besançon oder Dijon: keine sterilen Metallbänke, sondern moderne und gemütliche Sitzlandschaften.

Am Bahnsteig mehr Personal – In Nordost- und Südosteuropa kommen die Bahnhofsvorsteher in Dienstuniform bei jedem einfahrenden und vorbeifahrendem Zug an den Bahnsteig, geben das Abfahrtssignal oder schauen nach dem Rechten, selbst bei ganz kleinen Bahnhöfen. Das hat was Beruhigendes und macht die Eisenbahn menschlich und sympathisch.

Und schließlich ging es über Frankreich bis nach Spanien.

Würdest du nochmal Interrail machen?

Ja, durchaus. Spätestens, wenn die RailBaltica von Warschau bis nach Tallin fertig ist. Das wird aber wohl bis in die 30er-Jahre dauern. Insofern sollte ich mir vorher vielleicht Skandinavien und Großbritannien vornehmen, da reicht dann auch ein Ein-Monats-Pass. Und die Temperaturen im Sommer sind angenehmer als in Südeuropa.

Was würdest du beim nächsten Mal anders machen – was würdest du anderen raten?

Wahrscheinlich würde ich mir beim nächsten Mal keinen 1.-Klasse-Pass kaufen. Viele Länder kennen keine 1. Klasse in Nahverkehrszügen, und ich bin häufig mit Nahverkehrszügen gefahren. Was würde ich anderen raten? Es gibt kein besseres Verkehrsmittel als die Bahn, wenn man Europa kennenlernen und verstehen möchte. Probiert es aus, es lohnt sich.