Katrin Fischer ist promovierte Bauingenieurin. Sie hat mit dem Risikomanagement von Baustellen begonnen – genau genommen nicht mit irgendeiner Baustelle, sondern mit Stuttgart 21. Dort hat sie gelernt Dinge auf den Kopf zu stellen, zu überlegen was man anders machen kann. Erdaushub – also die Erde, die auf Baustellen ausgehoben wird – war damals schon ihr Thema. Und daraus entstand schließlich das, wofür die Allianz pro Schiene ihr den Clara Jaschke Innovationspreis verliehen hat: „Erdpool“, ein Corporate Start-up der DB Bahnbau Gruppe.
Frau Dr. Fischer, Sie haben irgendwann beschlossen, dass die ausgehobene Erde auf Baustellen mehr ist als Abfall, der irgendwie entsorgt werden muss. Wie kam es dazu?
Stimmt – der erste Gedanke ist immer: Erdaushub, das ist Abfall, das muss entsorgt werden. Die Entsorgung war immer schon kostenpflichtig, und in den letzten Jahren wurde das richtig teuer. Außerdem wurden in den vergangenen Jahren kaum noch neue Deponien genehmigt. Deshalb wurden die, die es noch gibt, immer voller und konnten entsprechend die Preise für die Entsorgung erhöhen.
Das wiederum verteuert die Projekte extrem. Die Entsorgung von Erdaushub und Bauschutt macht etwa 15 Prozent der Baukosten aus. Bei einem 500-Millionen-Projekt sind das dann schnell mal 75 Millionen Euro.
Eine ganze Menge…
…Genau. Deshalb haben wir dann beim Milliarden-Projekt Stuttgart 21 überlegt, was könnte man alternativ mit den Abfällen anfangen? Und da kam uns die Idee, dass man die Materialien ja in einen Kreislauf bringen könnte.
Über welche Materialien reden wir da – und wie genau lassen sie sich weiterverwerten?
Wir hatten auf der Neubaustrecke von Stuttgart nach Ulm beispielsweise Ton- und Naturstein. Tonstein eignet sich sehr gut für die Ziegelindustrie. Das Material kann gebrannt werden und ist anschließend als Ziegel einsetzbar. Es fallen aber auch Natursteine an, also große Blöcke von Steinen, welche zum Beispiel in Trockenmauern oder als Fassadenverkleidung eingesetzt werden können.
Bei Bauprojekten in der Rheinebene wird sehr viel Sand und Kies ausgehoben. Das benötigt die Betonindustrie als Zuschlagstoff – da gibt es einen riesigen Bedarf. Allerdings werden Kies- und Sandgruben für den Abbau immer seltener genehmigt, denn die bestehenden Flächen in Deutschland sollen nicht weiter zerstört werden. Deswegen ist es aus der Ressourcenperspektive total interessant, wenn Tunnel direkt durch Sand- oder Kiesschichten gehen. Dann kann man das Material einfach nehmen, aufbereiten und für industrielle Zwecke weiter nutzen.
Gibt es auch ein konkretes Beispiel, wo man Ihren Aushub direkt besichtigen kann?
Ja, auf jeden Fall: Das Tonstein-Material aus dem Stuttgart21-Projekt hat Alnatura für sein Hauptgebäude in Darmstadt genutzt, das wurde in Stampflehmbauweise gebaut. Das ist ein sehr schönes und nachhaltiges Gebäude geworden.
Sie haben vor einem Jahr mit einer Kollegin und einem Kollegen mit Ihrem Start-up Erdpool begonnen, jetzt sind Sie schon zu siebt. Das klingt nach einer Erfolgsgeschichte. Rennen Ihnen die Baustoffunternehmen inzwischen die Türen ein?
Ja, die Nachfrage ist schon sehr groß. Wenn wir mit Abnehmern sprechen, hätten sie meistens am liebsten ganz viel Material und möglichst sofort.
Wir haben den Vorteil, dass wir insbesondere bei großen Tunnelbaustellen richtig große Mengen an Material haben. Wir reden da von oft von mehr als 200.000 Tonnen Aushub. Und das ist für industrielle Kunden schon wieder sehr interessant, also vor allen Dingen für die Baustoffindustrie. Insbesondere für diejenigen, die zum Beispiel Ziegel herstellen oder Beton.
Planen Sie denn noch weiter zu wachsen? Und auch auf die Gefahr hin, dass das jetzt nach Vorstellungsgespräch klingt: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Wir wollen die zentrale Plattform für Erdaushub werden – sowohl im DB Konzern, aber auch für andere Abnehmer oder Anbieter. Das macht auch total Sinn, wenn es da nur eine Plattform gibt, die das alles bündelt. Man könnte sagen, wir wollen quasi wie Amazon oder Ebay werden, nur eben für Erdaushub.
Das klingt nach großem Potenzial…
Unbedingt. Wenn wir zum Beispiel Betonbruch in großen Mengen haben, dann werden wir hoffentlich in naher Zukunft hingehen und ihn in seine Bestandteile Sand und Kies zerkleinern. Und dann kann man die Rohstoffe wieder einsetzen. In der Bayern-Kaserne in München wird derzeit auch eine gute Lösung erprobt, da hat man zum Beispiel Ziegel zerkleinert, mit anderen Erdaushub-Materialien vermischt und setzt die jetzt als Substrat für Bäume ein.
Das wäre dann noch so eine Idee für die Zukunft: dass man auf unserer Plattform auch schon recycelte Baustoffe kaufen oder verkaufen kann.
Die Idee, Erdaushub nicht mehr als Bauabfall zu betrachten klingt so naheliegend und nachahmenswert. Wieso hat man das nicht schon viel früher so gemacht?
Es ist eigentlich total simpel, ja. Die Herausforderung besteht halt darin, diese ganzen Prozesse abzuändern, das Denken in den Köpfen abzuändern: dass die Menschen nicht mehr denken, da muss ich was zur Entsorgung ausschreiben und dann wird das kostenpflichtig abgeholt.
Wir müssen das aktiv in die Hand nehmen und sagen: Das ist ein Rohstoff. Ich muss mir überlegen, was kann ich damit machen, wo kann ich das hinbringen? Das ist unser Ansatz, das aktiv voranzubringen. Wir müssen uns noch viel mehr Gedanken darüber machen, wie wir beim Bauen Energie sparen und Ressourcen schonen können. Da kann man immer noch ein bisschen mehr machen, und das macht auch richtig Spaß – und ist gleichzeitig die Herausforderung der Zukunft.
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